Dr. Svenja Meyhöfer

Prädiabetes im Fokus

Werden Vorstufen des Typ-2-Diabetes erfolgreich behandelt, schützt dies vor dem Auftreten eines manifesten Diabetes und ist langfristig mit besseren Nieren- und Gefäßfunktionen verbunden. Das ist das Ergebnis einer Studie des Deutschen Zentrums für Diabetesforschung (DZD). Doch welche Faktoren ermöglichen es, einen Prädiabetes in Remission zu bringen? Dafür sei „ein gesunder Lebensstil mit ausgewogener Ernährung und ausreichend Bewegung sowie gegebenenfalls eine Gewichtsreduktion“ notwendig, betont Dr. Svenja Meyhöfer, Oberärztin der Medizinischen Klinik 1 und Leiterin der Tagesklinik Adipositas am UKSH in Lübeck.

Die DZD-Forschenden hatten in der sogenannten Prädiabetes-Lebensstil-Interventions-Studie (PLIS) 1.105 Prädiabetes-Patientinnen und -Patienten untersucht, die über ein Jahr an einer Lebensstilintervention, bestehend aus gesunder Ernährung und mehr körperlicher Bewegung, teilgenommen hatten. Die Forschenden werteten die 298 Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus, die im Rahmen dieser Intervention mindestens 5 % an Gewicht abgenommen hatten. Als Responder galten Teilnehmende, bei denen sich Nüchternblutzucker, Zwei-Stunden-Glukose und HbA1c-Wert innerhalb der zwölf Monate normalisiert hatten. Diejenigen, die trotz des Gewichtsverlusts keine Remission erreichten und weiterhin einen Prädiabetes hatten, galten als Non-Responder.

Entgegen ersten Vermutungen der Forschenden war es nicht der Gewichtsverlust, der die Menschen unterschied, die in Remission gingen und diejenigen, die nicht in Remission gingen, denn in beiden Gruppen gab es keinen Unterschied in der relativen Gewichtsabnahme. Jedoch zeichneten sich diejenigen, die eine Remission erreicht hatten dadurch aus, dass sie ihre Insulinsensitivität stärker verbessern konnten als die Non-Responder. Um herauszufinden, warum dies so war, suchten die Forschenden nach weiteren Unterschieden zwischen den beiden Gruppen – und wurden in der Körpermitte fündig: Die Responder hatten trotz gleicher Gewichtsabnahme mehr viszerales Bauchfett abgebaut als die Non-Responder. „Ein hoher Anteil an viszeralem Fett ist mit einer Insulinresistenz assoziiert“, erläuterte die Lübecker Stoffwechselexpertin Meyhöfer auf Anfrage des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblattes. „Bei dieser Dysfunktion entstehen zudem vermehrt Entzündungsmoleküle im Blut, die ebenfalls zur Entstehung von Prädiabetes beitragen. In der Folge führen diese Veränderungen zu einem erhöhten Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen.“  

Die Teilnehmenden, die in Remission gingen, hatten tatsächlich weniger Entzündungsproteine im Blut. Bei der Reduktion des Leberfetts dagegen – ebenfalls ein wichtiger Risikofaktor für die Entwicklung von Diabetes – gab es überraschenderweise keine Unterschiede zwischen den beiden Gruppen. Bemerkenswert: Die Teilnehmenden, die eine Remission erreicht hatten, wiesen noch zwei Jahre nach Ende der Lebensstilintervention ein um 73 % reduziertes Risiko auf, einen Typ-2-Diabetes zu entwickeln. Außerdem zeigten sie reduzierte Marker der Nierenschädigung und einen besseren Zustand ihrer Blutgefäße. 

Basierend auf den neuen Daten sollte die Remission das neue Therapieziel bei Menschen mit Prädiabetes sein, schlussfolgerten die DZD-Wissenschaftler. Von einer Remission bei Prädiabetes ist der Studie zufolge auszugehen, wenn der Nüchternblutzucker unter 100mg/dl (5,6 mmol/l), die Zwei-Stunden-Glukose unter 140 mg/dl (7,8 mmol/l) und der HbA1c-Wert unter 5,7 % sinkt. Die Wahrscheinlichkeit einer Remission steigt den neuen Ergebnissen zufolge, je mehr das Körpergewicht gesenkt wird und der Bauchumfang zumindest um etwa 4 cm bei Frauen und 7 cm bei Männern reduziert werden kann. 

Die Ergebnisse der Prädiabetes-Lebensstil-Interventions-Studie wurden in Lancet Diabetes & Endocrinology (https://doi.org/10.1016/S2213-8587(23)00235-8) veröffentlicht. Die PLIS-Studie wurde als eine der ersten großen Multicenterstudien im Deutschen Zentrum für Diabetesforschung durchgeführt. Das DZD ist eines der sieben Deutschen Zentren der Gesundheitsforschung, in ihm sind Grundlagenforschung, Epidemiologie und klinische Anwendung verzahnt. Ziel des DZD ist es, über einen integrativen Forschungsansatz einen wesentlichen Beitrag zur Prävention, Diagnose und Therapie des Diabetes mellitus zu leisten. Die Universität Lübeck ist assoziierter Partner des DZD und in verschiedene Studien und Forschungsprojekte eingebunden.

Aktuelle Entwicklungen aus der Diabetesforschung und -versorgung: 

Analyse-Tool ermittelt individuelle Diabetesentwicklungen 
Typ-2-Diabetes verläuft von Patient zu Patient verschieden – und sollte auch individuell behandelt werden. Das haben Forschende des Deutschen Diabetes-Zentrums (DDZ) in Düsseldorf nun anhand eines speziellen Algorithmus, der inzwischen online abrufbar ist, unterstrichen. Der Algorithmus basiert neben Alter und Geschlecht auf einfachen, routinemäßigen Daten wie dem BMI, dem Gesamtcholesterin oder dem HbA1c-Wert. So können frühzeitig Menschen erkannt werden, die innerhalb der ersten fünf Jahre nach der Diabetesdiagnose weniger Insulin bilden oder zu ungenügend eingestelltem Bluthochdruck beziehungsweise zu Fettstoffwechselstörungen neigen. Zudem lassen sich Risiken wie früheres Versterben und spezifische Diabeteskomplikationen darstellen. Mit dem einfach zu handhabenden Online-Tool ist die biologische Heterogenität des Typ-2-Diabetes leicht erkenn- und verstehbar, so die DDZ-Forschenden. Der Algorithmus visualisiert anschaulich die Vielfalt von Typ-2-Diabetes und die Variabilität des Diabetesverlaufs. Er kann unter diesem Link aufgerufen und genutzt werden: https://atn-uod2018.shinyapps.io/Prediction_diabetes_outcome_18082021/

Gesunde Ernährung für Diabetespatienten
Eine weitere aktuelle Studie des DDZ hat die Bedeutung einer gesunden Ernährung für Patienten mit manifestem Typ-2-Diabetes unterstrichen. Die Metaanalyse randomisiert-kontrollierter Studien (DOI: 10.1136/bmjmed-2023-000664) hat ergeben, dass pflanzliche, mediterrane, kohlenhydratarme oder proteinreiche Ernährungsweisen neben der Blutzuckerkontrolle zusätzlich auch positive Auswirkungen auf die kardiometabolische Gesundheit haben, einschließlich des verringerten Risikos von Herz-Kreislauf-Erkrankungen und anderen diabetesbedingten Komplikationen. Zuverlässige Ergebnisse zur Reduktion des Körpergewichtes wurden für eine Verringerung der Energieaufnahme etwa durch flüssige Mahlzeitenersatzprodukte und für pflanzliche und kohlenhydratarme Ernährungsweisen gefunden. Wenige Kohlenhydrate hatten zudem einen positiven Einfluss auf HbA1c-Spiegel und Triglyceride, eine höhere Aufnahme von Omega-3-Fettsäuren hatte positive Effekte auf kardiovaskuläre Risikomarker. Bei der Ernährungsberatung für Menschen mit Typ-2-Diabetes sollte neben dem Gewichtsmanagement die Förderung einer langfristig gesunden Lebensweise im Fokus stehen, so die Empfehlung der Studienautoren.

Uwe Groenewold

„Lebensstilinterventionen langfristig festigen“ 

Dr. Svenja Meyhöfer von der Tagesklinik Adipositas am UKSH in Lübeck im Gespräch mit Uwe Groenewold. 

Welche Faktoren ermöglichen es, einen Prädiabetes vollständig in Remission zu bringen?
Dr. Svenja Meyhöfer: Ein gesunder Lebensstil mit ausgewogener Ernährung und ausreichend Bewegung sowie gegebenenfalls eine Gewichtsreduktion mit dem langfristigen Halten des Normgewichts (BMI zwischen 18,5 und 24,9 kg/m2). Dazu gehört die Vermeidung des Verzehrs von stark gesüßten Lebensmitteln, Softdrinks und auch Zero-Getränken.

Wie lassen sich Menschen mit Prädiabetes zu nachhaltigen Lebensstilinterventionen motivieren?
Meyhöfer: Eine nachhaltige Lebensstilintervention ist die Grundlage für die vollständige Remission von Prädiabetes. Daher sollten entsprechende Therapieprogramme langfristig erfolgen sowie regelmäßige Arzttermine wahrgenommen werden. Beispielsweise haben wir am UKSH in Lübeck die Tagesklinik Adipositas etabliert mit einem multimodalen Therapiekonzept aus Bewegungs-, Verhaltens- und Ernährungstherapie, um genau solche Lebensstilinterventionen für Patientinnen und Patienten langfristig zu festigen und adipositasassoziierte Komplikationen wie Prädiabetes und Typ-2-Diabetes zu vermeiden.

Wie läuft dabei die Zusammenarbeit mit niedergelassenen Ärzten in Schleswig-Holstein?
Meyhöfer: Wir versorgen mehr als 1.000 Patienten mit Adipositas und Prädiabetes pro Jahr. Wir haben eine enge Kooperation mit den niedergelassenen Kolleginnen und Kollegen, die uns Patienten mit Adipositas zur weiteren multimodalen Behandlung für unsere Adipositas-Sprechstunde sowie die Tagesklinik Adipositas schicken. Niedergelassene Kollegen können eine strukturierte 
langfristige Behandlung von Patienten mit Adipositas beispielsweise zur Prävention von Prädiabetes und Diabetes bisher nicht abrechnen beziehungsweise ist eine solche Behandlung nicht in der Grundpauschale abgegolten. Dies wird sich hoffentlich künftig mit dem geplanten und bereits vom G-BA verabschiedeten DMP Adipositas ändern.