Dr. Klaas Lindemann

Selbstständig statt angestellt

Angestellt statt selbstständig: Dies ist seit Jahren ein Trend im ambulanten ärztlichen Bereich. Ein Auslaufmodell ist die eigene Niederlassung dennoch nicht. Wie aktuell die Selbstständigkeit immer noch ist, zeigen die zahlreichen Niederlassungen vieler Ärztinnen und Ärzte in Schleswig-Holstein – zum Teil weiterhin in Einzelpraxen, zum Teil in Berufsausübungsgemeinschaften.

Eine der jüngsten Niederlassungen hat besondere Aufmerksamkeit erregt: Die Privatisierung des Büsumer Ärztezentrums. Dieses Modell hatte ab 2015 bundesweit Beachtung gefunden, weil die Gemeinde damals als erste in Deutschland eine kommunale Eigeneinrichtung gründete, um die Versorgung ausschließlich mit angestellten Ärztinnen und Ärzten zu sichern. Einzelpraxisinhaber in Büsum hatten zuvor keine Nachfolger gefunden.

 

„Wir haben eigene Ideen, die wir jetzt selbstbestimmt und ohne Zeitverzug umsetzen können.“ 
Dr. Klaas Lindemann


Die Versorgungssicherung über diesen damals als ungewöhnlich empfundenen Weg gelang – und jetzt die Re-Privatisierung. Astrid Ewald, Kerstin Weiser-Hagelstein und Dr. Klaas Lindemann haben von ihrem Recht, die Kassenzulassung selbst zu übernehmen, Gebrauch gemacht und sind seit Jahresbeginn die Praxischefs im Ärztezentrum. Die Gemeinde hat die Kassenzulassungen und die Praxisausstattung an sie verkauft und ist jetzt nur noch Vermieter der Immobilie. 

Das Ärzte-Trio ist damit auch Arbeitgeber geworden: Zwei ärztliche Kollegen, zwölf MFA, drei Auszubildende und vier Reinigungskräfte sind in der Berufsausübungsgemeinschaft beschäftigt. 

Die Personalverantwortung und das Finanzielle, räumt Lindemann ein, gehen nicht spurlos ein einem vorbei. Der 36-Jährige ist sich wie seine beiden Kolleginnen bewusst, dass eine eigene Praxis viel Verantwortung und eine stärkere Bindung bedeutet. Doch er ist überzeugt, dass es der richtige Schritt war.

Für die drei ist die eigene Praxis das berufliche Konzept, das sie als das passende für ihr Leben gefunden haben. Gestaltungsspielräume und eigene Ideen wollen sie nutzen. Auch die Aussicht auf eine bessere Vergütung der eigenen Leistungen ist ein Argument für die Selbstständigkeit, erläutert Lindemann im Gespräch. 

Die eigenen Leistungen bringen die drei seit der Übernahme erwartungsgemäß stärker ein als vorher. Die Zeiten, in denen sie selbst Patienten behandeln, sind nicht weniger geworden. Zugleich wenden sie alle mehr Zeit auf, weil das Management jetzt in ihren Händen liegt.
Lindemann ist wichtig, dass alle im Zentrum angestellten Ärztinnen und Ärzte gerne in der kommunalen Eigeneinrichtung gearbeitet haben – ein fester Arbeitsplatz im jungen Team und ein Management, das die administrativen Aufgaben für sie übernommen hat, waren Pluspunkte. 
Die Gemeinde stand hinter dem Konzept und hat um das Ärztezentrum herum zahlreiche weitere Gesundheitsberufe angesiedelt. 
Doch angestellt zu arbeiten, bedeutet auch, weniger selbst entscheiden zu können. „Wir haben eigene Ideen, die wir jetzt selbstbestimmt und ohne Zeitverzug umsetzen können“, nennt Lindemann einen Vorteil. 

Vorher gab es ein von der Ärztegenossenschaft mit Sitz in Bad Segeberg gestelltes Management und die Gemeinde als kommunalen Eigentümer – was bei organisatorischen Entscheidungen Zeit erforderte. Als Beispiel nennt Lindemann die Aufteilung von Akut- und Terminsprechstunden. Im kommunalen Zentrum gab es zwar Terminsprechstunden, aber akut vorbeischauende Patienten sollten zu diesen Zeiten trotzdem nicht auf später vertröstet werden. Das sorgte für Stress und warf Planungen oft über den Haufen. Solche Themen zu ändern, erforderte in der alten Struktur vorher Besprechungen und Entscheidungen, in die nicht nur das behandelnde Praxisteam involviert war. „Wir hatten keine Weisungsbefugnis und die Entscheidungsfindung dauerte länger als heute“, nennt Lindemann den Unterschied zur Selbstständigkeit.

Auch das Geld spielt eine Rolle. „Natürlich erhoffen wir uns, dass wir mittelfristig auch finanziell von der Selbstständigkeit profitieren“, sagt Lindemann. Das wird zunächst nicht der Fall sein. Neben dem Praxiskredit belastet der Wegfall der Neupatientenregelung. Das Trio ist sich auch bewusst, dass das Ärztezentrum nie mit Gewinn gearbeitet hat: Die Gemeinde Büsum musste von Beginn im Jahre 2015 stets ein Defizit zwischen 25.000 und 64.000 Euro im Jahr ausgleichen. Warum glauben die drei, dass das jetzt besser wird und sie finanziell stärker profitieren als mit einem Angestelltengehalt?

„Die schnell möglichen Änderungen in den Abläufen führen zu einer höheren Effizienz“, ist Lindemann sicher. Zudem übernehmen die Ärzte jetzt Managementaufgaben, die vorher bezahlt wurden. Einige Dienstleistungsverträge wurden neu aufgesetzt. Und dass die selbstständig tätigen Ärztinnen und Ärzte jetzt in der Abrechnung unmittelbar davon profitieren, wenn sie mehr leisten, wird sich ebenfalls positiv bemerkbar machen.

Das Vertrauen, dass sich die Selbstständigkeit lohnen wird, hat das Trio nicht allein. Ein weiteres Beispiel aus Büsum: Ihre frühere Kollegin Dr. Viola Schmidt hat eine Hausarztpraxis in ihrer Heimatgemeinde Schafstedt übernommen. Das Trio hätte sie gerne in Büsum gehalten.
Lindemann hat schon über seinen Vater mitbekommen, was es heißt, eine Praxis zu führen: Dr. Arno Lindemann war Jahrzehnte niedergelassen – im Ärztezentrum Büsum, als dort noch mehrere Einzelpraxen ohne Kooperation nebeneinander Patienten behandelten. Klaas Lindemann hat sein Sprechzimmer heute nicht weit entfernt von dem früheren seines Vaters. Beide halten den Umweg über die Anstellung bei der Gemeinde zur heutigen Selbstständigkeit für richtig. 

Büsums Bürgermeister Hans-Jürgen Lütje „erinnerte zum Übergang in die privaten Hände daran, dass die Privatisierung schon bei der Gründung als Zukunftsszenario geplant gewesen sei. Sie biete die Chance, die Zusammenarbeit zwischen Gemeinde und Gesundheitswesen noch intensiver zu gestalten.“
Auf Unterstützung stößt die Privatisierung auch bei der Ärztegenossenschaft Nord. Geschäftsführerin Laura Lüth nannte die Privatisierung einen „großen Erfolg“. „Wir hatten uns das immer gewünscht und wünschen es auch für die anderen Zentren“, sagte Lüth. Sie hofft, dass auch weitere kommunale Trägerschaften lediglich Übergangslösungen sind und sich mehr junge Ärztinnen und Ärzte für die Selbstständigkeit entscheiden.
Die Ärztegenossenschaft bleibt trotz Privatisierung in Büsum aktiv. Es wurde ein dreiseitiger Vertrag mit Praxis und Gemeinde geschlossen, um sektorenverbindende, kooperative Versorgungsmodelle zu entwickeln. 
An weiteren Standorten in Schleswig-Holstein managt die Genossenschaft ebenfalls kommunale Ärztezentren, die aber alle erst nach Büsum gegründet wurden. An diesen weiteren Standorten zeichnet sich nach Auskunft der Genossenschaft bislang aber noch keine Privatisierung ab.
Dirk Schnack