Deutscher Krebskongress

Jedes Jahr erkranken in Deutschland etwa eine halbe Millionen Menschen neu an Krebs. Allerdings gebe es enorme Fortschritte in der Therapie, erläuterte Kongresspräsident Prof. Reinhard Büttner aus Köln. Als Beispiel führt er die genomische Medizin an, die eine präzise molekulargenetische Diagnostik ermögliche, auf deren Grundlage häufig eine individualisierte Krebstherapie erfolgen könne. Hierfür benötige man spezialisiertes Expertenwissen, einzelne Behandelnde könnten nicht den vollständigen Überblick über alle neusten Entwicklungen und Therapieansätze behalten, so Büttner. „Interdisziplinarität und Interprofessionalität sind deshalb der Schlüssel zum Erfolg.“

Geschlechtsunterschiede bei Krebserkrankungen gehen weit über Brust-, Ovarial- und Zervixkarzinome beziehungsweise Prostata- und Hodentumoren hinaus. Die Häufigkeit einzelner Krebserkrankungen, die Wirkung bestimmter Therapien und das Auftreten von Nebenwirkungen unterscheidet sich bei Frauen und Männern zum Teil deutlich. Das erklärte Prof. Anne Letsch vom UKSH-Campus Kiel in einer vielbeachteten Keynote-Lecture während des Krebskongresses. 

Die meisten Krebserkrankungen betreffen Männer häufiger als Frauen, nur in wenigen Fällen wie etwa beim Gallengangs- oder beim Schilddrüsenkrebs sei dies umgekehrt, so die Onkologin, die zum Vorstand des Universitären Cancer Center Schleswig-Holstein (UCCSH) gehört. Auch Risikofaktoren wirken sich bei den Geschlechtern unterschiedlich aus: So habe Rauchen bei Männern andere Effekte auf lungenkrebsrelevante Signalwege während der Zellteilung als bei Frauen. Bestimmte genetische Konstellationen könnten wiederum bei Frauen häufiger eine Darmkrebserkrankung begünstigen als bei Männern. Auch Lebensstil und Verhaltensweisen wirken sich geschlechtsspezifisch auf die Inzidenz onkologischer Erkrankungen aus. 

Subgruppenanalysen klinischer Studien und Auswertungen von Datenbanken mit großen Patientenzahlen hätten zudem deutliche Hinweise geliefert, dass sich Verträglichkeit und Wirksamkeit medikamentöser Krebstherapien unterscheiden. Eine Analyse, die auf Daten von über 23.000 Patienten mit diversen Krebserkrankungen in verschiedenen Stadien beruhte, ergab, dass Frauen unter zielgerichteten, Immun- und Chemotherapien ein höheres Risiko für schwere Nebenwirkungen aufwiesen als Männer, so zum Beispiel bei Darm- oder Lungenkrebs.  

Insgesamt seien Geschlechtsunterschiede in der Krebsbiologie und -behandlung von großer Relevanz; in Kombination mit Gender-spezifischen, also auf das soziale Geschlecht bezogene, Faktoren wie Lebensstil und Verhalten, könnten sie dazu führen, dass die Mortalität von Frauen und Männern bei derselben Krebsentität unterschiedlich ist, wie dies etwa das niederländische Krebsregister für das Magenkarzinom ermittelt hat. Hier ist die Überlebenswahrscheinlichkeit von Männern um ein Drittel höher als die von Frauen. Diese Geschlechts- und Genderunterschiede sollten künftig systematisch in klinischen Studien analysiert werden, so die Kieler Wissenschaftlerin. Frauen und Männer sollten als biologisch unterschiedliche Gruppen mit differierenden Therapiebedürfnissen angesehen werden. Die moderne Präzisionsonkologie könnte in der Lage sein, spezifische Therapiekonzepte zu entwickeln, die Geschlechts- und Genderunterschiede, aber auch weitere Diversitätsfaktoren wie etwa Alter, sozioökonomischer Status, Ethnie oder Religion adäquat berücksichtige, hofft Letsch. 
 


Zahlen in Deutschland aktuell rückläufig

Im Jahr 2020 sind rund 231.400 Frauen und 261.800 Männer in Deutschland mit einer Krebserkrankung diagnostiziert worden. Dies sind etwa 6 % weniger als im Jahr zuvor, hat das Robert Koch-Institut in Berlin berechnet. Dieser für Krebserkrankungen ungewöhnliche Rückgang zeichnete sich bereits in der deutschen Krankenhausstatistik ab. Er findet sich ähnlich auch in den meisten internationalen Krebsregistern wieder. Die Gründe hierfür sind laut RKI vielfältig: Sie reichen von in der COVID-19-Pandemie vorübergehend eingeschränkten Angeboten und verminderter Inanspruchnahme von Krebsfrüherkennungsuntersuchungen bis zu verzögerter Abklärung von Krankheitssymptomen. 
Noch lässt sich nicht beurteilen, ob diese Entwicklungen zu einer Beeinträchtigung der Behandlungschancen der betroffenen Menschen geführt haben: Die Sterblichkeit an Krebs ist in Deutschland bei rund 228.000 krebsbedingten Todesfällen im Jahr 2021 weiter rückläufig.
(Quelle: Robert Koch-Institut, Krebs in Deutschland, www.rki.de/krebs)


Bauchspeicheldrüsenkrebs gehört zu den häufigsten krebsbedingten Todesursachen. Jährlich erkranken etwa 19.000 Menschen in Deutschland, die vollständige chirurgische Resektion ist momentan die einzige kurative Behandlungsoption bei einer sonst schlechten Prognose. Nachwuchswissenschaftler Benjamin Heckelmann aus der Klinik für Chirurgie am Campus Lübeck des UKSH stellte beim Krebskongress ein Forschungsprojekt der Lübecker Klinik vor, das im vergangenen Jahr bereits bei einem Krebskongress in Chicago ausgezeichnet wurde und eine Förderung der Else Körner-Fresenius-Stiftung über mehr als 260.000 Euro erhielt. Hintergrund ist, dass die Biologie jedes einzelnen Tumors sehr unterschiedlich ist und personalisierte Therapien seit einigen Jahren immer wichtiger werden. 

Bei dem Projekt geht es darum, das Ansprechen von Tumorproben auf Chemotherapeutika einzuschätzen. „Hierzu kultivieren wir frische Resektate von duktalen Adenomkarzinomen der Bauchspeicheldrüse“, erläuterte der Doktorand. Mit einem besonderen Kultivierungssystem werden sogenannte organotypische Schnittkulturen gewonnen. „Diese weisen eine große Nähe zum Originaltumor auf, mit dem wir das individuelle Mikromilieu, also Tumor- und Bindegewebszellen und die Immunzellpopulation, sehr genau darstellen können.“ Mit einem speziell entwickelten, KI-basierten Bildverarbeitungsalgorithmus ließen sich einzelne Gewebskomponenten gezielt betrachten. „Unser Bestreben ist es, dass Patienten eine Therapie bekommen, die passgenau auf das individuelle Tumorgewebe wirkt. Langfristig wollen wir so einen Beitrag zur personalisierten Behandlung des Pankreaskarzinoms leisten.“

Neben den gesundheitlichen Belastungen führt eine Krebserkrankung in der Regel zu Einschränkungen der Lebensqualität, geringerer Teilhabe am sozialen Leben und immer häufiger auch zu einer Verschlechterung der eigenen finanziellen Situation. Eine Befragung der Deutschen Krebsgesellschaft (DKG) in 119 zertifizierten Darmkrebszentren hat ergeben, dass ein Viertel der Patienten ein Jahr nach der Erkrankung von finanziellen Schwierigkeiten berichtet. Betroffen sind insbesondere Menschen mit fortgeschrittener Erkrankung und ohne Hochschulreife. Die DKG befragte mehr als 5.400 Patienten zu ihrer persönlichen finanziellen Situation. Von den rund 4.500 Patienten, die vor Behandlungsbeginn keine finanziellen Schwierigkeiten hatten, berichteten zwölf Monate später etwa 25 % von finanziellen Problemen aufgrund ihrer Krebserkrankung. „33 % der Krebspatienten mit fortgeschrittener Erkrankung gaben an, ein Jahr nach der Therapie finanzielle Probleme zu haben, bei Betroffenen mit niedrigeren Tumorstadien waren es 20 %. 27 % der Patienten ohne Hochschulreife berichteten ein Jahr nach der Therapie von finanziellen Schwierigkeiten, bei denjenigen mit Hochschulreife waren es 22 %“, fasste Dr. Nora Tabea Sibert von der DKG die Ergebnisse zusammen. 

Die Gründe für die finanziellen Schwierigkeiten sind vielschichtig. 40 % der Studienpatienten gaben ein Jahr nach ihrer Darmkrebsbehandlung an, unter Fatigue, also chronischer Erschöpfung, zu leiden. Auch Polyneuropathien und kognitive Einschränkungen treten häufig auf. Dies könne etwa den Wiedereinstieg in den Beruf erschweren, zu einer Umschulung oder einer Frühverrentung führen, so Sibert. Auch während der Therapie erfahren viele 
Patienten finanzielle Einschränkungen, erhalten die Betroffenen nach sechs Wochen Lohnfortzahlung im Anschluss doch ein deutlich niedrigeres Krankengeld. Sibert sprach in diesem Zusammenhang von finanzieller Toxizität: krankheitsbedingte Mehrausgaben und Mindereinnahmen begünstigen die oftmals ohnehin vorhandenen Ängste und das ungute Gefühl. 

Die DKG empfiehlt, ein Screening auf finanzielle Mehrbelastungen in den onkologischen Behandlungspfad der zertifizierten Zentren aufzunehmen, damit Patienten mit erhöhtem Risiko für finanzielle Schwierigkeiten vorhandene Unterstützungsangebote (Sozialdienste der Tumorzentren, Landeskrebsgesellschaften, Härtefallfonds der Deutschen Krebshilfe) frühzeitig wahrnehmen können.  
Weitere Informationen vom Deutschen Krebskongress: www.dkk2024.de
Uwe Groenewold