Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt 9 2023

Telemedizin im Klinik-Alltag

Für Bewohner der Insel Helgoland ist der Weg zu einer medizinischen Versorgung weit, wenn nicht die Paracelsus-Klinik auf der Insel oder Praxen vor Ort diese selbst übernehmen können. Das gilt in aller Regel für hochspezialisierte Versorgung. Eine teletherapeutisch gestützte logopädische Kooperation, um Sprech- und Schluckbeschwerden von Parkinson-Patienten zu lindern, gehört dazu. Deshalb haben sich die Inselklinik und die Parkinson-Klinik der Segeberger Kliniken auf ein Kooperationsmodell verständigt, das den Patienten der Inselklinik die in Segeberg vorhandene Expertise via Telemedizin zugänglich macht.

„Digitale Anwendungen können nicht alle Bedarfe decken, aber für die Parkinson-spezifische Logopädie ist es eine sehr hilfreiche Unterstützung“, sagte Helgolands Neurologie-Chefärztin Dr. Annette Rogge über die kürzlich gestartete Zusammenarbeit. 

Andere Standorte und Krankenhäuser kooperieren in Schleswig-Holstein ebenfalls. Je nach Bedarf und Indikation gibt es dazu unterschiedliche Modelle und Projekte, die oft vom Land über den Versorgungssicherungsfonds gefördert werden. Gemeinsam ist ihnen in aller Regel, dass unterschiedliche Sektoren und Professionen aus dem Gesundheitswesen beteiligt sind und ihre Zusammenarbeit digital unterstützt wird. 

In Bad Segeberg übernimmt die „Telemedizinisch-gestützte Tagesklinik für Parkinson und Bewegungsstörungen“ (TIZIAN) die Therapie der auf Helgoland ansässigen Patienten. Die Tagesklinik ist an die Fachklinik für Parkinson und Bewegungsstörungen der Segeberger Kliniken angegliedert. TIZIAN war als Projekt des Versorgungssicherungsfonds des Landes Schleswig-Holstein entstanden und von 2020 bis 2022 mit einer Summe von 500.000 Euro aus Fondsmitteln gefördert worden. Seitdem sind dort mehr als 100 Patienten telemedizinisch betreut worden.

TIZIAN soll dazu beitragen, digital gestützte hybride Versorgungsmodelle zu erarbeiten, die besonders in ländlichen Regionen die Versorgung verbessern. Die teletherapeutische Unterstützung erfolgt je nach Bedarf durch unterschiedliche Berufsgruppen – neben Logopäden können dies auch Ärzte, andere Therapeutengruppen oder zum Beispiel Psychologen sein.

Segebergs Klinik-Chefarzt Prof. Björn Hauptmann nimmt wahr, dass das erarbeitete hybride Konzept hilft, die Patientenzufriedenheit, die Teilhabe und die Lebensqualität der Patienten zu verbessern. Ergebnisse der Evaluation stehen aber noch aus. Die meisten TIZIAN-Patienten kommen aus der Region, vereinzelt aber auch aus anderen Bundesländern. 

Der Einsatz von Telemedizin ist nicht neu, über den verstärkten Einsatz wurde auch schon vor Corona nachgedacht. Hauptmann beobachtet aber, dass die Aufgeschlossenheit für digitale Unterstützung in der Gesundheitsversorgung sowohl bei Patienten, als auch bei den Gesundheitsberufen seitdem gestiegen ist. Und TIZIAN ist nur ein Beispiel, wie man Menschen durch telemedizinische Anwendungen helfen kann, ohne dass sie dafür jedes Mal weite Wege in Kauf nehmen müssen. Hauptmann nennt noch einen weiteren Vorteil, den Ärzte und Therapeuten bei einer Behandlung in ihren Einrichtungen nicht haben: „Wir sehen die Patienten bei einer videogestützten Therapie auch mal in ihrem häuslichen Umfeld.“ 

Ein weiterer Grund, der digital gestützte Therapien speziell für Parkinson-Patienten für die Klinik sinnvoll erscheinen lässt, ist der Mangel an Schwerpunktpraxen und das fehlende Spezialwissen. Darauf zu setzen, dass Patienten zu Hause Übungen allein durchführen, ist bei den oft antriebslosen oder depressiven Patienten nicht angezeigt. „Es braucht Anleitung und eine gewisse Kontrolle der Übungen“, sagen Logopädin Madeleine Gausepohl und Ergotherapeutin Anja Kirchner. Deshalb arbeiten sie gerne mit Videosprechstunden, Teletherapie und Apps, über die sie die Verläufe der Übungen verfolgen können. 

TIZIAN ist nur ein Projekt, das die digitale Transformation der Segeberger Kliniken unterstreicht. Hauptmann ist neben seiner Rolle als Klinikchef auch für die digitale Transformation aller Abteilungen zuständig. Ihm ist wichtig, dass diese Transformation ärztlich geleitet wird und nicht von kaufmännisch oder technisch geprägten Berufen, damit die medizinische Umsetzung bei allen Projekten im Vordergrund steht. Er tauscht sich regelmäßig mit Ärztinnen und Ärzten anderer Abteilungen aus, um zu erfahren, welche Bereiche dort von einem stärkeren digitalen Einsatz profitieren könnten. Beispiele dafür gibt es bereits, u.a. in der Kardiologie, in der Endoprothetik, in der Schlaganfallnachsorge oder vor und nach chirurgischen Eingriffen von Adipositaspatienten. Die Möglichkeiten sind inzwischen so vielfältig, dass digitale Anwendungen schon vor der stationären Aufnahme beginnen, damit die Patienten anschließend – ebenfalls digital begleitet – die Nachsorge besser meistern. 

Zugleich weiß das Team um Hauptmann, dass dem digitalen Einsatz in der Gesundheitsversorgung immer auch Grenzen gesetzt sind. Ob ein Patient sich für eine digitale Therapie eignet, ist vor allem von den Faktoren familiäres Umfeld und Motivation abhängig. Diese Faktoren beeinflussen, wie gut sie die digital begleiteten Übungen ausführen. Dabei wird in der Tagesklinik sowie bei den Projekten ein hybrider sektorenübergreifender Ansatz verfolgt, bei dem sich telemedizinische und teletherapeutische Maßnahmen mit Vor-Ort-Aufenthalten abwechseln. Je nach Indikation bzw. Zielsymptom kommt ein spezifisches Therapiemodul zum Einsatz, das die Zahl der Therapietage vor Ort bestimmt. 

Das Alter ist nach Erfahrungen des Teams übrigens kein Grund, auf digitale Geräte zu verzichten. Vielmehr ermöglichen erhaltende kognitive Fähigkeiten und ein Support Patienten im hohen Alter die digitale Teilhabe. 
Dirk Schnack