Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt 9 2023

Freitags keine Sprechstunde

Der Fachkräftemangel führt in vielen Zweigen der Wirtschaft zu Überlegungen, die Vier-Tage-Woche einzuführen. Erste Unternehmen erproben dies bereits. Eine HNO-Praxis aus Neumünster hat diese Überlegung ebenfalls aufgegriffen und erprobt ein entsprechendes Modell seit Mai für vorerst ein Jahr. 

Jan Witte und Dr. Michael Klinger haben ihre Gemeinschaftspraxis am Großflecken, in der Innenstadt von Neumünster, seitdem nur noch von Montag bis Donnerstag geöffnet. Die fünf Medizinischen Fachangestellten (MFA) haben den Freitag frei. „Die finden es gut“, lautet die Erfahrung der Ärzte nach den ersten Wochen. Ein wichtiges Ziel des Modells ist damit schon erreicht − die Zufriedenheit ihrer Beschäftigten ist gestiegen und damit auch die Attraktivität ihrer Praxis für eventuell neue Mitarbeitende. Die Gesamtarbeitszeit hat sich mit dem Modell allerdings für niemanden verringert, das gleiche gilt für das Sprechstundenvolumen pro Woche, das um eine Stunde erhöht ist.
Ausschlaggebend für die Erprobung war ein höherer Krankenstand in der Praxis zum Jahresende 2022. Ein Ausfall des Personals betrifft technikintensive Praxen wie in der HNO besonders stark, weil viele Leistungen dort an MFA delegiert werden. „Ohne Mitarbeitende geht es nicht“, steht für die beiden Ärzte fest. Sie besprachen den Vorschlag der Vier-Tage-Woche mit ihren Beschäftigten. Niemand wollte Stunden reduzieren und damit Gehaltseinbußen in Kauf nehmen. Eine Verteilung der bisherigen Wochenarbeitszeit auf vier Tage aber wurde von allen begrüßt.

Die beiden anderen HNO-Praxen im Ort haben Witte und Klinger über ihr Modell vorab informiert. „Begeistert waren die Kollegen anfangs nicht“, berichtet Klinger. Aber: Der Hinweis auf die an den an anderen Tagen ausgeweiteten Sprechstundenzeiten kam gut an.

Die Praxis hat seit Mai Montag bis Mittwoch jeden Nachmittag bis 17:30 Uhr und Donnerstag bis 19:00 Uhr geöffnet, außerdem Montag- bis Mittwochvormittag. 
Drei Folgen der neuen Zeiten zeichneten sich im Sommer ab:

  • Die Patienten gewöhnen sich nur langsam. Termine, die zu neuen Praxisöffnungszeiten vergeben werden, stoßen auf Verblüffung. Zum Teil rufen sie in der Praxis an, um sich den für sie ungewöhnlichen Termin noch einmal bestätigen zu lassen. Und: Viele stehen am Freitag vor verschlossener Praxistür und klingeln. Oft erklärt Klinger, der an diesem Tag Verwaltungsarbeit in der Praxis erledigt, dann an der Tür noch einmal die neuen Zeiten.
  • Nicht überall werden die Sprechstundenzeiten aktualisiert. Auf ihrer Praxiswebsite weisen die Ärzte deshalb explizit darauf hin, dass externe Webdienste wie Google die Sprechzeiten zum Teil unvollständig wiedergeben.
  • Der Patientenandrang insgesamt ist etwas geringer. Da die Praxis zeitgleich mit den Folgen der gestrichenen Neupatientenregelung zu kämpfen hat, sind finanzielle Einbußen zu erwarten. „Es wird ein schwaches Quartal. Das Nicht-Erscheinen von Terminpatienten hat seitdem etwas zugenommen“, kann Klinger heute schon sagen.

Die Praxisinhaber wollen dem Modell Zeit geben. Sie erwarten, dass die Patienten ungefähr ein Jahr brauchen, um sich an die neuen Zeiten zu gewöhnen. Der Annahme, dass die Praxis mit diesem Modell die Work-Life-Balance für die Beschäftigten erhöhen wollte, tritt Klinger entgegen: „Grund ist ausschließlich der Fachkräftemangel.“

Dirk Schnack