Patrick Reimund

Klinikreform: Der Norden bringt sich ein

Kahlschlag: Dieser Begriff reicht in der Öffentlichkeit, um in Verbindung mit Krankenhäusern Entrüstung hervorzurufen. In zahlreichen Medien wurde dieser Begriff verwendet, als über die Vorschläge einer vom Bundes­gesundheitsministerium eingesetzten Regierungskommission zur künftigen Kliniklandschaft diskutiert wurde. Ein Szenario: Aus den bislang noch 16 geburtshilflichen Kliniken in Schleswig-Holstein werden bei einer Eins-zu-eins-Umsetzung der Berliner Vorschläge nur noch zehn. 

Ob das eintritt, ist zweifelhaft. Fest steht aber: Die Reform wird weitreichende strukturelle Änderungen in der Kliniklandschaft nach sich ziehen. In welcher Form die Vorschläge konkret umgesetzt werden, darüber wird derzeit gerungen – nicht nur in Berlin, sondern in allen Bundesländern. 

Denn: Krankenhausplanung ist und bleibt Ländersache. Das Problem aus deren Sicht: Weder die Bundesländer, noch Klinikverantwortliche waren vom Bundesgesundheitsministerium in die Beratungen einbezogen. Zugleich schnürte Berlin ein zeitlich so enges Korsett für die Schritte bis zur geplanten Verabschiedung des Reformgesetzes, dass für die Einflussnahme jetzt wenig Zeit bleibt. Schleswig-Holsteins Gesundheitsministerin Prof. Kerstin von der Decken (CDU) sprach diplomatisch von einem „ambitionierten Zeitplan“ und ließ keinen Zweifel daran aufkommen, dass die Länder an der Ausgestaltung beteiligt werden müssten, denn: „Die Länder können die Situation vor Ort am besten beurteilen. Und ich erwarte Klarheit über die konkreten Folgen. Transparenz muss Basis für die anstehenden weitreichenden Entscheidungen sein.“ 
Sie betonte am 13. Februar bei einem Pressegespräch nach Beratungen mit Klinikvertretern aber auch: „Ich begrüße ausdrücklich, dass der Bund als ein Reformziel die Vergütung von Vorhaltekosten aufgenommen hat. Dies soll zur Sicherung der Grundversorgung gerade in ländlichen Gebieten beitragen.“

Damit sich das Land in den Reformprozess einbringen kann, hat das Kieler Ministerium eine Projektgruppe eingesetzt, die sich in enger zeitlicher Taktung mit Klinikvertretern austauscht. Patrick Reimund, Geschäftsführer der Krankenhausgesellschaft, sieht zwar ebenfalls die Notwendigkeit einer grundlegenden Reform der Krankenhausfinanzierung, die sich auf die Versorgungsstruktur auswirken wird. Der Vorschlag der Regierungskommission sei aber „von der Realität in den Regionen teilweise weit entfernt“. Er vermisst insbesondere eine Analyse der möglichen Auswirkungen der Vorschläge. Nach Bewertung der bisherigen Vorschläge der Regierungskommission sieht das Ministerium in mehreren Bereichen Handlungsbedarf.

Konkret: 

  • Die Mindestkriterien zur Eingruppierung in Versorgungslevel sind nach den bisherigen Vorschlägen allgemein zu hoch angesetzt, um in einem Flächenland wie Schleswig-Holstein die Versorgung dauerhaft zu sichern. Das Land wird daher auf eine Anpassung drängen.
  • Schleswig-Holstein setzt sich im Rahmen des Prozesses gegenüber dem Bund zudem für eine verifizierte konkrete Folgenabschätzung ein, die bislang fehlt.
  • Eine strukturelle Anpassung erfordert Investitionsmittel. Dafür sollte, wie von der Kommission vorgeschlagen, der Bund einen erneuten Strukturfonds einrichten. Künftige Investitionsentscheidungen werden abhängig von der Bundesreform sein und müssen daher deren Ergebnisse berücksichtigen.
  • Nötig sei eine Entbürokratisierung des vorgeschlagenen Verfahrens inklusive einer deutlichen Reduktion der Anzahl der vorgeschlagenen Leistungsgruppen.
  • Zusätzliche Mittel für die Betriebskostenfinanzierung müssen bereitgestellt werden. 
  • Die länderspezifische planerische Kompetenz muss erhalten bleiben, um z.B. auf die besondere Situation bei der Versorgung in Randlagen eingehen zu können.

Das Ministerium kündigte einen Austausch hierzu mit Kliniken, Kommunen, Krankenkassen, Politik und weiteren Beteiligten an. Mit der Reform will man zahlreichen Herausforderungen in der Klinikversorgung begegnen – insbesondere Fachkräfte­mangel, Schwächen des bisherigen Vergütungssystems, ungeplante Kostensteigerungen. Auch bundesweite Qualitätsvorgaben zählen dazu – sie seien zwar elementar für die Patientensicherheit, betonte das Ministerium, für Kliniken mit niedriger Versorgungsstufe aber schwer zu erfüllen. Von der Decken ließ durchblicken, dass die Tendenz, nicht „alles überall“ anzubieten, sich fortsetzt.

Nicht nur in Schleswig-Holstein wird ein „Kahlschlag“ befürchtet. Würde die Reform wie vorgeschlagen umgesetzt, müssten sich nach Angaben der Deutschen Krankenhausgesellschaft bundesweit 52 % aller werdenden Mütter einen neuen Standort für die Geburt suchen. 56 % der Patienten in der interventionellen Kardiologie müssten das Krankenhaus wechseln. In der Urologie wären es 47 und in der Neurologie 39 %. Die bundesweiten Zahlen unterstreichen, wie stark das Interesse auch in anderen Bundesländern an Änderungen der Reformvorschläge ist. Wie aufgeschlossen das Bundesgesundheitsministerium für solche Änderungen ist, ist auch für von der Decken schwer einzuschätzen. Es sei nicht leicht gewesen, Berlin von einem strukturierten Prozess bis zur Reform zu überzeugen. Dass aber Änderungen aus den Ländern einfließen werden, dafür zeigte sie sich im Februar „vorsichtig optimistisch“. 
Dirk Schnack