Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt

Auftrag: Klima retten und Politik beeinflussen

Wie politisch sollte eine Ärztekammer sein? Sie sollte sichtbar und mit deutlichen Positionen in der Öffentlichkeit auftreten, lautete der Wunsch aus dem Kreis Rendsburg-Eckernförde. Dies gab den Anstoß für eine Generaldebatte. Ein anderer Schwerpunkt der Septembersitzung: Der Klimawandel. Dieses Thema wird die Kammer künftig immer wieder in den Mittelpunkt stellen.

Diskussionsrunden mit den gesundheitspolitischen Sprechern im Landtag, Austausch mit der jeweils amtierenden Ministerin oder
dem Minister, Hintergrundgespräche, kontinuierliche Abstimmung auf operativer Ebene mit dem Ministerium – die politischen Aktivitäten der Ärztekammer sind in den vergangenen Jahren stetig gewachsen. Zugleich ist aber auch die öffentliche Diskussion
über gesundheitspolitische Themen breiter und zum Teil polarisierter geworden. Nicht selten lesen, sehe und hören Ärztinnen und Ärzte Beiträge zu komplexen gesundheitspolitischen Themen, die nach ihrer Wahrnehmung Einordnung benötigt hätten. Die Ärztekammer könnte an dieser Stelle sichtbarer werden, sich deutlicher positionieren, lautete ein Wunsch aus dem Kreis Rendsburg-Eckernförde, den Prof. Nour Eddine El Mokhtari in der Kammerversammlung vortrug. Als Beispiele nannte er Themen wie Fachkräftemangel oder Klinikfinanzierung. Er regte an, dass zu solchen Themen ein intensiverer Austausch als bislang auch mit der Kammerversammlung gesucht wird – auch wenn Themen berührt sind, die auf Bundesebene entschieden werden. „Wir müssen auf die „große“ Politik zugehen, wenn nötig im Verbund mit anderen“, sagte Mokhtari.

Die anschließende Diskussion zeigte, dass den gewählten Kammerversammlungsmitgliedern eine Vielzahl von Themen vorschweben. Ausgewählte Beispiele aus der Debatte: Annett Schmidt aus Ratzeburg nannte den Widerspruch zwischen den politischen Versprechen an Leistungen und den begrenzten finanziellen und personellen Ressourcen. Dr. Holger Hinrichsen aus Kiel und Dr. Stefanie Liedtke aus Bad Segeberg die Motivation des Nachwuchses für einen Tätigkeit in der ärztlichen Versorgung, Dr. Hauke Nielsen die überlasteten Notaufnahmen in den Kliniken. Dass Ärztinnen und Ärzte die richtigen Absender für Botschaften zu solchen Themen sind, steht für Dr. Waltraud Anemüller aus Lübeck außer Frage – sie verwies auf das aus Umfragen bekannte Vertrauen, das Patienten ihren Ärzten entgegen bringen. Es gab aber auch Skepsis, ob die Ärzteschaft mit ihren Botschaften durchdringt. Nach Wahrnehmung von Dr. Norbert Jaeger aus Kiel ist die Gesellschaft nicht bereit für Diskurse über jedes Thema, das die Ärzteschaft bewegt, etwa dann nicht, wenn es um unbequeme Fragen wie Priorisierung geht. Für Vizepräsidentin Dr. Gisa Andresen darf das allerdings kein Grund sein, Themen nicht aufzugreifen, im Gegenteil: „Wir müssen laut darüber reden!“.

Politisch war auch der Bericht des Präsidenten. Prof. Henrik Herrmann, der auf die aktuellen Krisen außerhalb und innerhalb des Gesundheitswesens einging. Als „erschreckend“ nimmt er wahr, wie die Bundespolitik die aktuellen Herausforderungen angeht: „Mit Antworten aus der Vergangenheit sollen die Fragen der Zukunft gelöst werden.“ Herrmann machte deutlich, was die Ärztekammer Schleswig-Holstein vermisst: Grundlegende Veränderungen bei der Finanzierung sowohl im ambulanten, als auch im stationären Bereich. Er kritisierte, dass das Bundesgesundheitsministerium – statt die hierzu schon aufgezeigten Ansätze zu vertiefen – erneut Kommissionen einberuft, die nur wenig auf ärztlichen Sachverstand setzt. „Statt des großen Wumms gibt es jetzt wieder nur Symptomhandeln“, so der Präsident. Insbesondere im GKV-Finanzstabilisierungsgesetz sieht er eine „Rolle rückwärts“, weil die extrabudgetäre Vergütung von Neupatienten gestrichen werden soll – vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels ein aus seiner Sicht „vollkommen falsches Signal“. Als Tabubruch bezeichnete der Präsident das von Bundesgesundheitsminister Prof. Karl Lauterbach (SPD) geplante Darlehen an die Krankenkassen. Er erwartet, dass die diesmal vorgesehene eine Milliarde Euro in kommenden Jahren schnell größere Dimensionen annehmen wird. Er befürchtet, dass damit eine Aushöhlung der Selbstverwaltung des Subsidiaritätsprinzips verbunden sein könnte. „Damit hätte der Staat freie Hand, das Gesundheitswesen zu steuern und zu lenken und zunehmend in ein staatliches Gesundheitswesen umzuformen.“ In einem solchen System wäre Selbstverwaltung verzichtbar – was manchen Politikern auf Bundesebene sicherlich willkommen wäre. „Deshalb ist es wichtig, dass wir als ärztliche Selbstverwaltung darauf hinweisen und alles tun, damit unser Subsidiaritätsprinzip erhalten bleibt“, sagte Herrmann.

Auf Landesebene ist die Ärztekammer bereits tätig geworden und hat sich, wie berichtet, mit den gesundheitspolitischen Sprechern hierzu abgestimmt. Auch die neuen Landesgesundheitsministerin Prof. Kerstin von der Decken (CDU) hat sich beim Parlamentarischen Abend der Interessengemeinschaft der Heilberufe (IDH) klar für die Selbstverwaltung ausgesprochen. Die Ankündigungen allein reichen Herrmann nicht. Er kündigte an: „Wir werden genau beobachten, welche Aktivitäten in den nächsten Monaten nach einer längeren Eingewöhnungsphase entstehen und diese konstruktiv-kritisch begleiten“. Nur die angekündigte Weiterführung des Versorgungssicherungsfonds jedenfalls, so Herrmann, reiche nicht aus. Nicht ausreichend waren bislang auch die Bemühungen unserer Gesellschaft für den Klimaschutz. Die Kammerversammlung hat sich bereits mehrfach mit diesem Thema beschäftigt. In der Septembersitzung machte Medizinstudentin Katharina Kewitz, die als Gastrednerin geladen war, deutlich,
wie die Situation einschätzt: „Noch nie war der Handlungsdruck so groß und noch nie war so deutlich, dass es so nicht weiter gehen kann.“ Kewitz, die der Lübecker Ortsgruppe von „Health for Future“ angehört, appellierte in eindringlichen Worten an die Kammerversammlung, weil die Ärzteschaft nach ihrer Auffassung in besonderer Verantwortung steht. „Wir müssen den Mut haben, Teil der Veränderung sein zu wollen. Die Stimme der Gesundheit für den Klimaschutz hat bislang gefehlt“, so Kewitz. Anstrengungen sind bereits in Gang gesetzt. Cornelia Mozr, Leiterin der Akademie der Ärztekammer Schleswig-Holstein, berichtete von einem Projekt zur Ausbildung von Kräften im Gesundheitswesen zu Klimaberaterinnen und -beratern. Die geschulten Mitarbeitenden könnten in den Praxen erreichen, dass ressourcenschonender gearbeitet wird, dass für gesundheitliche Beeinträchtigungen durch den Klimawandel sensibilisiert wird und dass Patienten zu einem klimaförderlichen Verhalten motiviert werden. Wie sehr das Thema bewegt, zeigte die Diskussion nach einem Vortrag der Kammerabgeordneten Anne Schluck aus Eutin, die sich in ihrem regionalen Praxisnetz engagiert und mit einer Arbeitsgruppe schon einiges bewegt hat. Aus Sicht von Dr. Joachim Rümmelein aus Flensburg wäre ein Erfahrungsaustausch, welche energiesparenden Maßnahmen in Arztpraxen helfen könnten, wertvoll. Dr. Frank Schubert aus Preetz regte an, dass die Folgen von Klinikneubauten für die Energiebilanz stärker berücksichtigt
werden. Immer wieder kam die Frage auf, ob der bei der Klinikhygiene anfallende Müll reduziert werden könnte – ohne dass die Hygiene darunter leidet. Dr. Stefanie Liedtke aus Bad Segeberg machte deutlich, dass dies oft ein von Behörden und nicht von Hygienebeauftragten ausgelöstes Problem darstellt. So wichtig die Diskussion über diese Themen war – Schluck mahnte, darüber nicht das Handeln zu vergessen. Künftig wird die Ärztekammer das Thema deshalb regelmäßig auf die Tagesordnung setzen und über Fortschritte berichten.

Text: Dirk Schnack