Dr. Catharina Escales

Allgemeinmedizin

Wenn der Praxisalltag stressig ist, die Stimmung im Team angespannt und selbst ein Lachen kritisch hinterfragt wird, kann es Zeit sein, das eigene Selbstwertgefühl und Wohlsein zu hinterfragen. „Wenn Sie sich am Arbeitsplatz erschöpft fühlen, sich ein Gefühl der Wirkungslosigkeit ausbreitet und Zynismus und Distanz den Raum einnehmen, sollten Sie sich über das Thema Resilienz Gedanken machen“, riet Dr. Catharina Escales, Fachärztin für Allgemeinmedizin am Institut für Allgemeinmedizin der CAU in Kiel und ärztliche Koordinatorin des Kompetenzzentrums Weiterbildung, in einem Workshop zum Thema Resilienz im Rahmen des 9. Tages der Allgemeinmedizin in Kiel. 

Resilienz – ein Begriff, der immer häufiger in der Berufswelt auftaucht. Sie steht für die Fähigkeit, schwierige Situationen zu bewältigen und sich anzupassen. Es geht um die psychische Widerstandsfähigkeit eines Menschen. „Ziel ist nicht die Selbst-, Zeit- oder Prozessoptimierung. Es geht um uns selbst und die Wiederherstellung unserer psychischen Gesundheit nach Krisen und besonderen Stresssituationen. Es geht um die Fähigkeit, zurück in den Normzustand zu gelangen“, so Escales. 


Johannes Rieken: Dringliche Patientenfälle in Hausarztpraxen

Wer behandelt dringliche Patientenfälle? In der Öffentlichkeit entsteht zunehmend der Eindruck, dass dies nur in den Notaufnahmen passiert. Die Leistungen der Hausarztpraxen geraten dabei aus dem Blickfeld. Ein Projekt des Instituts für Allgemeinmedizin an der Uni Lübeck könnte dies ändern (Link zur Umfrage). Warum das wichtig ist, erläutert Allgemeinmediziner Johannes Rieken im Podcast.


Wie man eigene Grenzen erkennen und wahren kann, erfuhren Teilnehmende im Workshop. Sie waren sich einig, dass es zunächst wichtig sei, die eigenen Grenzen zu spüren und auch akzeptieren zu können. Nur dann könne die eigene Identität geschützt, Kraft gespart und Hilfe in Anspruch genommen werden. Sofern man sich seiner eigenen Grenzen bewusst geworden ist, sei es wichtig, „Grenzschutz“ zu betreiben und sich zu überlegen, welche Konsequenzen gezogen werden sollen, wenn die Einhaltung der Grenzen nicht berücksichtigt werden kann oder diese von anderen und sich selbst bewusst ignoriert werden. Wichtig sei dabei, Hilfe nicht nur anzunehmen, sondern diese aktiv zu suchen, Aufgaben zu verteilen und Empathie auch für sich selbst zu empfinden. „Unsere Grenzen sind oft unsichtbar – für andere und auch für jeden selbst“, so Escales. Sie erklärte, dass jeder Mensch einen anderen inneren Antreiber habe, der sich bereits in Kindheitstagen entwickele und den eigenen Anspruch an sich selbst reguliere. Sie sprach vom inneren Antreiber, der zu „Sei perfekt!“ aufruft und damit suggeriert, dass die eigene Arbeit nie gut genug sei, und vom Antreiber „Sei stark!“, der das Zeigen von Gefühlen als Schwäche interpretiere. Auch gäbe es den Antreiber „Sei beliebt!“, der dem eigenen Ich suggeriert, nur dann wertvoll zu sein, wenn man von allen gemocht wird. Auch „Sei schnell!“ und „Streng dich an!“ gehören zu inneren Antreibern, die das eigene Handeln infrage stellen. „Hier kommt es schnell zu einem Konflikt zwischen Funktion und Dysfunktion, es wird die Balance nicht gehalten und dies wirkt sich gesundheitsgefährdend aus“, so Escales. Der Anspruch „Sei perfekt!“ könne dazu führen, dass eine Aufgabe nie bis zum Ende erledigt wird und eine Ewigkeit braucht. „Perfektionismus korreliert mit Suizidalität!“, warnte Escales. Sie riet den Teilnehmern, den „Antreibern“ sogenannte „Erlauber“ gegenüberzustellen. So könne auf „Sei perfekt!“ die Antwort lauten: „Ich wachse an Fehlern“ und auf „Sei stark!“: „Schwächen zu zeigen ist eine echte Größe, ich bin es wert, Zuwendung zu empfangen und anzunehmen“. „Auch ein ehrliches Nein ist besser, als ein unehrliches Ja und es muss nicht immer schnell gehen, man darf sich Pausen nehmen – wozu wurde sonst der Schlaf oder der Sonntag erfunden?“, gab Escales zu bedenken. 

Wie die eigene Resilienz gestärkt werden kann, erarbeiteten die Teilnehmenden in kleinen Gruppen. Pausen schaffen, in die Natur gehen und diese erleben, eine gesunde Ernährung und Trinkmenge, das Praktizieren von Hobbys, aktives „Nein-Sagen“ und eine gesunde Schlafhygiene wurden als Punkte genannt, die jede und jeder selbst gestalten kann. Geht es jedoch darum, die eigene Resilienz im Praxisalltag zu stärken, kann es sein, dass dieser verändert werden muss. Escales riet bei einer Umstrukturierung der Praxisstruktur, die Kompetenzen und möglichen Arbeitsbereiche aller Beteiligten zu visualisieren, um dem individuellen Arbeitsstil des Einzelnen gerecht werden zu können und die Interaktion mit den Patienten bestmöglich zu gestalten. Hierbei riet sie, die drei Säulen der intrinsischen Motivation zu beachten: Autonomie, Kompetenz und Beziehung. In der Autonomie sei es wichtig, man selbst zu sein, aber gleichzeitig müsse es ins System passen. Die Kompetenz sei vom eigenen Können und Wissen gesteuert, müsse sich aber an Systeme und Leitlinien anpassen. In der Beziehung gehe es um einen übergeordneten Kontext, in dem die eigene Rolle und die Wertschätzung durch andere thematisiert werden. Dabei riet Escales: „Individualismus sollte nicht den Arbeitsplatz crashen“. Eine aktive Sprechstundengestaltung und Bürokratie, bewusstes Delegieren, Kollegengespräche und Supervisionen nannten die Teilnehmer als Ideen, die eigene Resilienz in der Praxis zu stärken. Kritik an den Verhältnissen von allen Beteiligten zuzulassen und bewusste Entscheidungen zu treffen seien dabei wichtig. Es sollte zudem nicht vergessen werden, dass jeder Mensch frei ist und auch das Entziehen aus der Situation und ein Wechsel des Arbeitsplatzes akzeptiert werden sollte. „Ziel sollte es immer sein, gemeinsam aus dem Jammern und Meckern ins Gestalten und Lenken zu kommen“, so Escales. 

Die Teilnehmenden berichteten auch von eigenen Erfahrungen, die dazu beigetragen haben, die Resilienz zu stärken. So habe Personalmangel in einer Praxis dazu geführt, dass die Sprechstundenzeiten gekürzt werden mussten. „Das war eine extern gesteuerte Gegebenheit, die sich am Ende für das gesamte Team als notwendig und richtig herausgestellt hat“, so eine Teilnehmerin. Auch das gegenseitige aufeinander achtgeben und eine ernstgemeinte 
Frage nach dem Wohlbefinden des anderen, könne den Teamgeist stärken. „Ich hatte eine Phase, in der ich bei einem lauten Lachen den Gedanken hatte: Wird da überhaupt gearbeitet?“, berichtete Gunhild Gille, niedergelassene Allgemeinmedizinerin aus Heiligenhafen. Zu große Ansprüche an sich selbst und andere, Ungeduld und Ungewissheit, was auf die Praxis zukommt, führten zu Unruhe und Stress. Gille wurde bewusst, dass sich etwas ändern muss. Sie berichtete, dass sie einen Coach ins Team holte und Supervisionen durchführte. „Heute lachen wir gemeinsam und tauschen uns in wöchentlichen Teamsitzungen aus. Wir sind ein Team geworden, das aufeinander Acht gibt“, so Gille. Aus dem Workshop nahm Gille die Idee mit, sich täglich im Praxisalltag gemeinsam mit dem Team eine zehnminütige Teepause bewusst einzuplanen, um kurz innezuhalten und sich bewusst auszutauschen. 
Um sich auch im Alltag stets das Bewusstsein der eigenen Grenzen und der Resilienz zu wahren, erarbeiteten die Teilnehmer gemeinsam Merksprüche und Aphorismen. „Nur wenn es mir gut geht, kann ich für andere da sein“, „Ich habe ein Recht auf Freizeit!“, „Man darf sich über alles aufregen, aber man ist nicht dazu verpflichtet“ oder auch „Leben und Leben lassen: Des Menschen Wille ist sein Himmelreich“ waren nur Beispiel für eine Vielzahl an hilfreichen Merksätzen.

Escales fasste zusammen: „Stärkt eure Selbstachtung, stellt Positives über Negatives, achtet auch auf körperliche Entspannung und auf eure Grundbedürfnisse – dann könnt ihr auch resilient sein und eure eigenen Grenzen kennen und wahren. Und vergesst nie den Humor dabei!“
Astrid Schock