Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt 10 2023

Postantibiotische Ära hat begonnen

AMR Was tun gegen antimikrobielle Resistenzen (AMR), die von der WHO als eine der größten Gesundheitsgefahren angesehen werden? Weil etliche Medikamente nichts mehr gegen krankmachende Mikroorganismen ausrichten können, sterben weltweit Untersuchungen zufolge bis zu fünf Millionen Menschen jährlich, wie auf der Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Hygiene und Mikrobiologie in Lübeck deutlich wurde. 

Bei der 75. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Hygiene und Mikrobiologie (DGHM) in Lübeck haben Mitte September rund 1.000 Expertinnen und Experten über Entstehung und Auswirkungen der Resistenzentwicklung diskutiert sowie mögliche Wege aus der „stillen Pandemie“ ins Auge gefasst. AMR sind eine der häufigsten Todesursachen weltweit, häufiger als HIV/AIDS oder Malaria, heißt es in einer vom Institute for Health Metrics and Evaluation (IHME) und dem Robert Koch-Institut (RKI) 2022 veröffentlichten Analyse. Weltweit haben die Wissenschaftler bis zu 4,95 Millionen Todesfälle gezählt, die jährlich im Zusammenhang mit resistenten Bakterien stehen. Allein in Deutschland sind es 45.700; davon 9.650 Todesfälle, die unmittelbar auf eine AMR zurückzuführen sind. 

Antibiotikaresistente Erreger stellen eine globale Bedrohung für die Gesundheit dar, weil künftig eventuell auch harmlosere Infektionskrankheiten wie Harnwegsinfekte nicht mehr zuverlässig therapiert werden können. Bei zunehmender Resistenzentwicklung verbleiben weniger therapeutische Optionen, wie Prof. Katharina Schaufler aus Greifswald, zusammen mit drei Lübecker und Kieler Wissenschaftlern Kongresspräsidentin, verdeutlichte. „Das goldene Zeitalter der Antibiotikaforschung ist längst vorbei. Wir befinden uns am Anfang einer postantibiotischen Ära mit teils panresistenten Bakterien, gegen die fast keine verfügbaren Antibiotika mehr wirksam sind.“

Dabei spiele die Bedeutung und Verfügbarkeit von antimikrobiellen Substanzen eine entscheidende Rolle bei komplexen medizinischen Verfahren wie Operationen, Organtransplantationen oder Krebsbehandlungen, wie Prof. Dennis Nurjadi aus Lübeck betonte. Neue Medikamente werden jedoch nicht schnell genug entwickelt. „Von der Entdeckung einer Substanz bis zur Einführung als Medikament vergehen 20 – 30 Jahre. Resistenzen dagegen entwickeln sich innerhalb von Wochen oder Monaten.“
Im Rahmen des One-Health-Konzepts der WHO hat die EU kürzlich Empfehlungen verabschiedet, die den Antibiotikaverbrauch bei Mensch (minus 20 %) und Tier (minus 50 %) bis 2030 deutlich reduzieren soll. Eine Maßnahme, die Prof. Helmut Fickenscher aus Kiel begrüßt. „Es ist völlig unsinnig, wenn Antibiotika in der Arztpraxis eingespart, wenige hundert Meter weiter im Tierstall aber weiter in Massen eingesetzt werden.“ Wie stark auch die Umwelt belastet sei, stelle man bei der Überprüfung von Industrieabwässern fest, in denen regelmäßig hohe Antibiotikaanteile gemessen werden. Erfolgversprechende Schritte können nur mit einem gemeinsamen ganzheitlichen Ansatz unternommen werden, so Fickenscher. 

Was tun? Noch fehlen wichtige Erkenntnisse zur Entstehung antimikrobieller Resistenzen, sagte Prof. Jan Rupp aus Lübeck, etwa bezüglich des Mikrobioms im Darm. Von großer Bedeutung sei, ob ein resistenter Keim eine Chance habe, sich dauerhaft im Mikrobiom festzusetzen oder er nur während einer Antibiotikatherapie auftauche und nach Beendigung wieder von der gesunden Flora des Patienten verdrängt werde.„Ein besseres Verständnis, wie eine solche Nische von Bakterien besetzt oder auch verteidigt wird, kann helfen, neue Therapieansätze zu entwickeln, um resistenten Erregern möglichst wenig Gelegenheit zu geben, sich dauerhaft festzusetzen.“

Künftig gehe es darum, zielgerichteter zu therapieren, um vermeintliche Nebenwirkungen und Kollateralschäden von breit wirksamen Antibiotika zu vermeiden. Hier setze zum Beispiel die Phagentherapie an, die sehr spezifisch mit dem krankmachenden Erreger interagiert. Ein neuer Ansatz sei es auch, von der Evolution der Bakterien zu lernen, also Mechanismen zu nutzen, die ein zunehmend resistenter Erreger verändert hat, um besser überleben zu können. Diese könnten dann neue Angriffspunkte für eine Therapie sein, so Rupp. 

Prof. Nurjadi verwies in Lübeck auf vielversprechende Ansätze für Kombinationstherapien. „Hierbei werden verschiedene antimikrobielle und nicht-antimikrobielle Substanzen miteinander kombiniert, um die Effektivität zu steigern und gleichzeitig die Entstehung von Resistenzen zu minimieren.“
Forschung intensivieren, alternative Therapien entwickeln – da waren sich alle Expertinnen und Experten zur Tagung einig. Aktuell tue außerdem Aufklärung not, betonte Schaufler. Die „stille Pandemie“ sei in der Gesellschaft noch nicht angekommen, sondern werde nur denen bewusst, die davon betroffen seien. Das müsse geändert werden, bevor es zu spät sei. „Antibiotikaresistenzen“, sagte auch DGHM-Präsident Prof. Jan Buer aus Essen, „sind ein extrem wichtiges Thema. Die nächste Pandemie wird sicher kommen. Eventuell ist es eine, die mit antimikrobiellen Resistenzen zu tun hat.“ 
Uwe Groenewold