Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt 05 2023

Lob und Anregungen aus den Verbänden

Wie wird die Arbeit der Ärztekammer von den ärztlichen Berufsverbänden erlebt? Was leistet die Kammer, was bleibt sie schuldig? Eine Körperschaft, die solche Fragen stellt, muss erstens auf eine schonungslose Analyse gefasst sein und zweitens Gesprächspartner einladen, die die Arbeit der Ärztekammer auch sachlich beurteilen können. Dazu gehören die Vorsitzenden bzw. Vorstände der größten Berufsverbände im Land. Dr. Miriam Führ (Vorstandsmitglied im Hausärzteverband), Doris Scharrel (Vorsitzende des Verbandes der Frauenärzte), Prof. Thorsten Feldkamp (Vorsitzender des BDI), Dr. Ralf van Heek (Vorsitzender des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte) sowie Dr. Ralf Schmitz (Vorsitzender des Berufsverbandes der Deutschen Chi­rurgie) waren der Einladung gefolgt und besprachen in Bad Segeberg mit Präsident Prof. Henrik Herrmann und Vizepräsidentin Dr. Gisa Andresen, wie sie die Arbeit der Ärztekammer wahrnehmen. Am Ende war es ein voller Erfolg: Weil das hohe Vertrauen, das die Berufsverbandsvorsitzenden in die Kammer haben, deutlich wurde. Aber auch, weil sie viele Anregungen für Veränderungen und Verbesserungen einbrachten und Kritik nicht aussparten. Der Kammerpräsident war nach zweistündiger Diskussion überzeugt: „Einen solchen Austausch wünsche ich mir häufiger und intensiver.“ 

„Ihr da in Bad Segeberg“ – ein mitunter genutzter Einschub von Kritikern, die damit ausdrücken wollen, die Ärztekammer entferne sich von der Basis und wisse angeblich nicht, was die Mitglieder bewegt. Die Kammer also als „Blase“, die sich nur mit sich selbst beschäftigt? Keiner der Berufsverbandsvorsitzenden nutzte diese Worte oder berichtete, dass dieser Vorwurf aus dem Mitgliederkreis an sie herangetragen worden sei. Stattdessen bescheinigte Schmitz, der sich seit Jahrzehnten berufspolitisch engagiert und über seinen Berufsverband auch Einblick in die Standespolitik über Schleswig-Holstein hinaus hat, dass er eine hohe Gesprächsbereitschaft bei den Körperschaften – die KV bezog er ausdrücklich ein – wahrnimmt und er diesen Austausch auch regelmäßig nutzt. Auf die Frage, ob es die Ärztekammer überhaupt braucht, antwortete Schmitz deutlich: „Auf jeden Fall, allein schaffen wir das nicht.“

Vergleichbar fielen die Einschätzungen aus den anderen Berufsverbänden aus. „Guter Austausch“ (Feldkamp), „offene Kommunikation“ (van Heek), „die Ärztekammer ist ein Gesprächspartner mit immer offenen Ohren“ (Scharrel), „enge Zusammenarbeit in der Weiterbildung“ (Führ): Diese Kommentare im Laufe des Gesprächs zeigten in unterschiedlicher Wortwahl, dass die Berufsverbände die Kammer als Ansprechpartner nicht nur kennen, sondern nutzen. 

Wie wenig selbstverständlich dies ist, zeigte Schmitz' Kommentar über Schleswig-Holstein als „Insel der Glückseligen“. Schmitz hat u.a. über seinen Berufsverband Einblick in die Verhältnisse zwischen Körperschaften und Verbandsmitgliedern in anderen Bundesländern. Die offene Gesprächskultur, wie er sie zwischen Nord- und Ostsee wahrnimmt, ist andernorts deutlich schwächer ausgeprägt. 

Die Berufsverbandsvorsitzenden waren aber in erster Linie nach Bad Segeberg gekommen, um Anregungen für Verbesserungen zu geben. Auch in der Vergangenheit ist schließlich nicht alles nach Wunsch verlaufen. In dieser Analyse wurde auch noch einmal auf die Pandemie eingegangen. Für die Hausärzte berichtete Führ, dass sich die Praxen in der Pandemie mehr Unterstützung seitens der Ärztekammer gewünscht hätten. Sie verwies auf die immense Belastung für die Praxen und die zum Teil Unmut erzeugenden Entscheidungen der Politik während dieser Phase. „Ich hatte zu dieser Zeit das Gefühl, dass wir nicht immer den Rückhalt der Kammer hatten“, sagte Führ. Herrmann und Andresen nahmen den Kritikpunkt an und bedauerten, dass dies in Hausarztpraxen so wahrgenommen wurde. Sie gaben zu bedenken, dass auch die Ärztekammern damals mit einer neuen Situation konfrontiert und zudem in ihrer Arbeit eingeschränkt gewesen seien. Und: Hinter den Kulissen und auf Arbeitsebene habe sich die Ärztekammer über die gesamte Phase der Pandemie intensiv eingebracht und die Interessen der Ärzteschaft vertreten – u.a. durch einen ständigen Austausch mit dem Ministerium. Es gehört allerdings zum standespolitischen Alltag, dass nicht jede Bemühung öffentlich wird und nicht jede Entscheidung im Sinne der Ärzteschaft ausfällt. 

Dennoch: Von einer Ärztekammer erwarten die Mitglieder, dass sie noch stärker Stellung bezieht – insbesondere in Krisenzeiten. „In den vergangenen Jahren haben sich die Ereignisse überschlagen und man hatte manchmal das Gefühl, die Selbstverwaltung ist nicht dabei“, beschrieb Schmitz diese Wahrnehmung. Er hält Stellungnahmen der Ärztekammern zu gesundheitspolitischen Ereignissen für unabdingbar, denn: „Die Bevölkerung muss mitbekommen, wenn etwas schiefläuft.“

Zweiter Punkt, der bei der Analyse zur Sprache kam: Die Weiterbildung. Führ und Feldkamp machten beide klar, dass ihre Berufsgruppen von der Ärztekammer erwarten, dass sie sich in der Weiterbildung und in der Nachwuchsförderung stärker einbringt. Feldkamp forderte, dass Ärztekammern der Politik verdeutlichen, dass Weiterbildung Zeit, Geld und Aufwand erfordert – und dies müsse gegenfinanziert werden. Auch über die Prüfungen zum Ende der Weiterbildung wurde diskutiert. Deutlich wurde der Wunsch, dass keine Abstriche an Qualität und Facharztstandard gemacht werden. „Wo Facharzt draufsteht, muss auch Facharzt drin sein“, brachte es Andresen auf den Punkt. Dafür sind bislang zum Teil auch mit Bürokratie verbundene Hürden eingebaut. Feldkamp regte an, Bürokratie abzubauen und stattdessen die Prüfungen mehr an die klinische Praxis anzupassen − auch wenn dies aufwändiger werden würde. Man könnte sich beispielsweise vorstellen, dass man von der Ärztekammer organisierte Hospitationen in der klinischen Routine in der Weiterbildung einführt und dafür z.B. das Logbuch verändert. Noch besser aus Sicht der Gesprächsrunde: Eine so gut gestaltete, begleitete und unterstützte Weiterbildung, dass wenig Bürokratie und am Ende keine Prüfungen mehr erforderlich wären. Herrmann will die Anregungen nutzen, um der Weiterbildung zu einem noch größeren Stellenwert zu verhelfen und in den Verbänden für noch mehr Unterstützung zu werben. In der Frage der Gegenfinanzierung sieht er die Ärztekammer auf einer Linie mit den Verbänden. Die Realisierung dieses Wunsches aber wird Zeit brauchen.  

In Sachen Qualität für die ärztliche Weiter- und Fortbildung war sich die Runde einig, dass keine Abstriche gemacht werden sollten. Ein weiterer Punkt, den die Runde diskutierte: Wie werden Anliegen aus dem Mitgliederkreis in der Kammer angenommen und bearbeitet? Scharrel nimmt wahr, dass man bei der Verfolgung der ärztlichen Anliegen in der Kammer oft einen „langen Atem“ benötigt. „Das ist manchmal mühsam und erfordert, dass man immer wieder nachhakt“, sagte die Frauenärztin. Zugleich nannte sie den Grund: „Fachspezifische Anfragen in allen Konsequenzen sind komplex.“ Auch van Heek brachte die inner­ärztliche Bürokratie zur Sprache. Er unterschied zwischen „Ermächtigungs- und Verhinderungsbürokratie“ und berichtete, dass zu häufig die Verhinderung wahrgenommen wird. Pädiater van Heek regte an: „Es ist Aufgabe des Ehrenamtes, das Hauptamt stärker zu ermutigen, statt zur Vorsicht zu mahnen.“ Allerdings zeigte van Heek genauso wie Scharrel bei diesem Punkt nicht nur Verständnis für die Vorsicht. Er betonte auch: „Alle Mitarbeiter in der Verwaltung sind stets freundlich.“ Schmitz berichtete zu diesem Punkt, dass durch den „kurzen Draht“ zur Entscheiderebene in den Körperschaften auch unbürokratische Lösungen ermöglicht werden. 

Die Wunschliste für Veränderungen war noch deutlich länger. Dazu gehörten u.a.

  • Den hohen Fortbildungsbedarf bei anderen Gesundheitsberufen, die eng mit Ärztinnen und Ärzten zusammenarbeiten, berücksichtigen und entsprechende Angebote schaffen.
  • Ein Engagement der Ärztekammer bei den Praxisbegehungen, das im Idealfall Kontrollen durch Behörden überflüssig macht.
  • Mehr begleitende Angebote für Weiterbildende und Weiterzubildende durch kollegiale Beratungen etwa durch Mentoren.
  • Zurück zu mehr Angeboten in Präsenz.

Herrmann und Andresen nahmen die Anregungen dankend auf – denn die Wünsche zeigen ja auch, dass die Mitglieder hohes Vertrauen in die Ärztekammer setzen und sie sich wünschen, dass ihre Körperschaft sie in mehr Themen vertritt als bislang. Scharrel sagte ganz deutlich: „Ich wünsche mir eine Ausweitung des Angebotes der Ärztekammer. Das steht für Qualität und Neutralität.“ Schmitz ist optimistisch, dass für eine solche Ausweitung aus den Verbänden auch mehr Engagement für eine ehrenamtliche Unterstützung kommen würde.  

Warum also macht die Ärztekammer nicht einfach „mehr“? Herrmann und Andresen nannten mehrere Gründe, ohne deshalb Veränderungen auszuschließen. Zum einen: Die Mitgliedsbeiträge lassen keine unbegrenzte Ausweitung des Angebotes zu. Viele Aufgaben, die Ressourcen binden, sind gesetzlich festgelegt und können nicht zugunsten neuer Angebote ersetzt werden. Zum anderen: Die Ärztekammer will nicht als „Kontrollbehörde“ in Praxen und Krankenhäusern auftreten. Dies würde aus ihrer Sicht die Akzeptanz unter den Mitgliedern gefährden. 

Stichwort Akzeptanz: Die ist – wie die Berufsverbände der Kammer versicherten – vorhanden. Die Verbandsvorsitzenden wünschen sich, dass diese Akzeptanz auch in einer vernünftigen Wahlbeteiligung bei der bevorstehenden Kammerwahl zum Ausdruck kommt. Sie kündigten an, die Wahl im Vorwege zu unterstützen. Lange überlegen mussten sie dafür nicht, wie die Feststellung van Heeks zeigte: „Wenn es die Kammer nicht gibt, macht es die Politik. Deshalb sollten wir wählen.“
Dirk Schnack