Cannabis Pflanze

Diskussion um Cannabis-Gesetz

Mit dem 1. April 2024 ist das neue Cannabisgesetz (CanG) der Bundesregierung in Kraft getreten1. Mit diesem Gesetz wird der private Eigenanbau durch Erwachsene zum Eigenkonsum sowie der gemeinschaftliche, nicht-gewerbliche Eigenanbau von Cannabis in Anbauvereinigungen legalisiert.

Bestimmungen des CanG
Im Einzelnen ist der Besitz von bis zu 50 g Cannabis (Trockengewicht von Blüten, blütennahen Blättern oder sonstigem Pflanzenmaterial) für den Eigenkonsum im privaten Raum erlaubt, ebenso auch der private Eigenanbau von bis zu drei Cannabis-Pflanzen und der gemeinschaftliche, nicht-gewerbliche Eigenanbau durch sogenannte Anbauvereinigungen. Weiterhin ist der öffentliche Konsum legal, unterliegt jedoch Regeln wie: kein Konsum in Fußgängerzonen zwischen 7 und 20 Uhr oder in Sichtweite von Schulen, Kinder- und Jugendeinrichtungen. Der Handel mit Cannabis bleibt verboten, und für medizinische Anwendungen von Cannabis besteht weiter eine Verschreibungspflicht.
Mit diesem Gesetz soll nach der Vorstellung der Bundesregierung ein „verantwortungsvoller Umgang mit Cannabis erleichtert werden“ und der wachsende illegale Markt für Cannabis eingedämmt werden. Das Gesetz soll auch durch weniger Strafverfahren wegen Cannabis-bezogener Delikte die Justiz entlasten. Geplant sind auch zum Schutz der Jugend und Stärkung der Prävention eine Aufklärungskampagne über die Wirkungen und Risiken von Cannabis und eine Evaluierung der Maßnahmen hinsichtlich ihrer gesellschaftlichen Auswirkungen nach 4 Jahren.

Was ist aus medizinischer Sicht vom CanG zu halten?
Dazu möchte ich im Folgenden Stellung nehmen und beziehe mich dabei im Wesentlichen auf einen in der März-Ausgabe 2024 der medizinischen Fachzeitschrift Der Arzneimittelbrief erschienenen ausführlichen Artikel mit dem Titel „Über Nutzen und Schaden von Cannabis-Produkten“. 
Da diese wichtige wissenschaftliche Arbeit dort hinter einer Bezahlschranke steht und ich seit mehreren Jahrzehnten Bezieher dieser von mir sehr geschätzten wissenschaftlichen medizinischen Zeitschrift bin, habe ich mir erlaubt, mit freundlicher Erlaubnis von einem der Herausgeber die wichtigsten Abschnitte daraus in dem folgenden Text zusammenzustellen und mit einem Kommentar zu versehen. 
Der aktuelle Artikel im Arzneimittelbrief fußt auf einem großen „Umbrella-Review“ über Risiken und Nutzen von Cannabis, der im August 2023 im British Medical Journal erschienen ist3. Ein „Umbrella-Review“ ist eine Übersicht über systematische Übersichtsarbeiten (Systematic Reviews, abgekürzt: SR) oder Metaanalysen und zählt zur höchsten Stufe der Evidenz in der Medizin. Die 32 wissenschaftlichen Autoren des Reviews kommen aus vier Kontinenten und aus den Bereichen Psychiatrie, Psychologie, Neurowissenschaften und Epidemiologie. 


Die Arbeit ist in Eigeninitiative entstanden und wurde nicht extern finanziert. Beginnen möchte ich mit der Zusammenfassung des Artikels aus dem Arzneimittelbrief.

Zusammenfassung
Der große aktuelle Umbrella-Review fasst die gegenwärtige Evidenz über den therapeutischen Nutzen und über (Behandlungs-)Risiken von Cannabis-Produkten zusammen. Es gibt demnach eindeutige Beweise für einen therapeutischen Nutzen für Cannabis-Produkte in der Tumor- und Schmerztherapie, bei chronisch-entzündlichen Darm- und einigen neurologischen Erkrankungen wie Multiple Sklerose und Epilepsie.
Der regelmäßige Gebrauch von Cannabis und medizinischem Cannabis erhöht jedoch auch das Risiko für psychische Erkrankungen und beeinträchtigt die Vigilanz, das Sehvermögen sowie wichtige kognitive Funktionen. 
Bei einem regelmäßigen Gebrauch von Cannabis als Rauschmittel können sich die Leistungen in der Schule und am Arbeitsplatz verschlechtern, und auch die Unfallgefahr im Straßenverkehr steigt. Bei Schwangeren erhöht sich das Risiko für eine Frühgeburt und für Entwicklungsverzögerungen des Kindes, und bei Heranwachsenden und jungen Erwachsenen verfünffacht sich das Risiko für Psychosen. Nach der vorliegenden wissenschaftlichen Evidenz sollte Cannabis daher nicht im Jugend- und frühen Erwachsenenalter, bei Menschen, die zu psychischen Störungen neigen, in der Schwangerschaft und im Straßenverkehr verwendet werden.Deshalb urteilen die Autoren des Arzneimittelbriefs: „Das nun in Deutschland geplante Cannabisgesetz wirkt realitätsfremd, ist kaum zu kontrollieren und wird von uns nicht nur in Anbetracht der nachgewiesenen Gesundheitsrisiken von Cannabis-Produkten als fahrlässig bewertet.“

Um welche Cannabis-Produkte geht es im CanG?
Unter den mehr als 100 in der Hanfpflanze enthaltenen (Phyto-)Cannabinoiden sind für den Gebrauch als Rausch- und Heilmittel das Delta-9-Tetrahydrocannabinol (THC) von Interesse und für weitere therapeutische Anwendungen auch die nur leicht psychoaktiven Stoffe Cannabinol (CBN) und Cannabidiol (CBD). 

Der Markt mit den legal und illegal angebotenen Cannabis-Produkten ist jedoch unübersichtlich. Grundsätzlich kann unterschieden werden zwischen:

  • THC-haltigem Cannabis als Rausch- und/oder Suchtmittel; meist verkauft in Form von getrockneten Blüten und Blättern der weiblichen Hanfpflanze (Marihuana) oder ihrem Harz (Haschisch);
  • Pharmazeutisch hergestellten Pflanzenextrakte mit einer definierten Zusammensetzung (Phyto-Cannabinoide), wie z.B. Nabiximols (CBD plus THC);
  • synthetischen Cannabinoide wie z.B. Dronabinol (Delta-9-trans-THC) oder Nabilon und verschiedenen Cannabidiol-Produkte mit sehr geringem THC-Gehalt, die nicht als Arzneimittel, sondern als „Lebensmittel“ mit unterschiedlichen gesundheitsbezogenen Angaben verkauft werden.


In der Medizin werden Cannabis und auf Cannabis basierende Medikamente (CBM) derzeit u.a. eingesetzt bei 

  • chronischen Schmerzen, 
  •  durch Chemotherapie induziertem Erbrechen und Nausea,
  •  Spastizität bei Multipler Sklerose und Paraplegie und 
  •   Appetitverlust sowie Gewichtsabnahme bei kachektischen AIDS- und Tumorpatienten.

Weitere Einzelheiten aus dem aktuellen Umbrella-Review

Methodik 
In vier wissenschaftlichen Datenbanken wurde nach Systematischen Reviews (SR) und Metaanalysen randomisierter kontrollierter Studien (RCT) oder Beobachtungsstudien bis Februar 2022 gesucht. Von Interesse waren Untersuchungen zu aktuellem oder vormaligem Konsum von Cannabis oder Cannabinoiden von gesunden Erwachsenen oder Jugendlichen, Schwangeren, Autofahrern sowie bei eindeutig definierten medizinischen Anwendungen. 
Die primären Endpunkte waren die Effektivität hinsichtlich der jeweiligen Zielsymptomatik (z.B. Anfallshäufigkeit bei Epilepsie, Schmerzintensität, Spastik, Krankheitsaktivität) und die Verträglichkeit bzw. Therapiesicherheit in den RCT. 
Sekundäre Endpunkte waren die Behandlungsergebnisse und die unerwünschten Effekte in den Beobachtungsstudien, sowohl bei einer medizinischen Anwendung als auch bei Verwendung als Rauschmittel in der allgemeinen Bevölkerung. Von 700 SR, die nach Lesen der Abstracts geeignet schienen, wurden 599 ausgeschlossen, z.B. weil sie keine Metaanalyse enthielten (n = 504), mehrfach publiziert waren (n = 38), oder weil zu der Fragestellung eine größere Metaanalyse vorlag (n = 21).  Von den verbliebenen 101 SR schlossen 51 nur RCTs ein und 50 nur Beobachtungsstudien.

Medizinischer Nutzen 
Für die Analyse der primären Endpunkte wurden nur die Daten aus SR von RCT mit hoher oder moderater Qualität verwendet (n = 27). Die Ergebnisse sind in Tab. 1 wiedergegeben. Demnach wirken Cannabis und CBM schmerzlindernd bei chronischen Schmerzzuständen, verstärken aber zugleich den Negativstress. Bei Multipler Sklerose und Paraplegie verbessern CBM Spastizität und Schmerzen, führen aber vermehrt zu Nebenwirkungen, wie Schwindel, Somnolenz, trockenem Mund und Übelkeit. Bei Patienten mit chronisch entzündlichen Darmerkrankungen verbessern CBM die Lebensqualität und bei Tumorpatienten die Schmerzkontrolle und die Schlafqualität. Nebenwirkungen wie Übelkeit und Erbrechen nehmen jedoch zu. 
Bei Epilepsie verringert CBD die Anfallshäufigkeit um ca. 50 %, und die Lebensqualität der Betroffenen steigt. Dafür treten vermehrt behandlungsbedingte Nebenwirkungen auf, wie Appetitlosigkeit, Somnolenz, Diarrhö oder erhöhte Temperaturen. Keinen nachweisbaren Nutzen haben Cannabis und CBM bei Demenz, Morbus Alzheimer, Morbus Parkinson und Sucht­erkrankungen.

Risiken bei der Anwendung 
Für die Analyse der sekundären Endpunkte wurden 50 SR von Beobachtungsstudien verwendet. Diese waren hinsichtlich der eingeschlossenen Studien, der Patientenzahl sowie der statistischen Methoden sehr heterogen. Nur 13 SR wurden als qualitativ hochwertig eingeschätzt. Insgesamt wurden 251 Endpunkte untersucht. Am häufigsten handelte es sich dabei um neuropsychologische Testergebnisse (n = 81), Messergebnisse von Hirnfunktionen und -volumina (n = 38) und psychiatrische Beurteilungen (n = 19). Erwähnenswert sind auch noch Messungen in der Schwangerschaft und Assoziationen mit Unfällen im Straßenverkehr (n = 7), Psychosen (n = 9) und Suiziden (n = 6). Demnach erhöht der Konsum von Marihuana bei Schwangeren das Risiko für ein geringes Geburtsgewicht (eOR: 1,61) und eine geringe Körpergröße der geborenen Kinder (eOR: 1,43). (Erläuterung: Die Abkürzung eOR bedeutet „equivalent Odds Ratio“)
Weiterhin gibt es Hinweise darauf, dass der Konsum von Marihuana Frühgeburten begünstigt (eOR: 1,32) und zu vermehrten Aufnahmen der Neugeborenen auf Intensivstationen führt (eOR: 1,41). Cannabis als Rauschmittel erhöht in der Allgemeinbevölkerung das Risiko für Psychosen (eOR: 1,71). Starker Cannabiskonsum erhöht das Risiko für Suizid (eOR: 3,20) und psychotische Symptome (eOR: 2,18). Weitere positive Assoziationen fanden sich in der Sensitivitätsanalyse für Konsum von Cannabis und dem Auftreten von Manien (eOR: 3,00), physischer Gewalt beim „Dating“ (eOR: 1,45) und Depressionen (eOR: 1,21). Regelmäßiger Cannabiskonsum geht in der Bildgebung vermehrt mit Schrumpfungen des Orbitofrontal-Kortex einher (eOR: 1,72) und in den neuropsychologischen Tests mit Beeinträchtigungen beim visuellen Gedächtnis (eOR: 3,76), der Merkfähigkeit für Aufgaben, die in der Zukunft auszuführen sind (eOR: 3,43), dem verbalen Lernen (eOR: 2,03) und Verständnis (eOR: 1,69) sowie Störungen verschiedener Gedächtnisfunktionen. 
Im Straßenverkehr erhöht Cannabis die Gefahr für kritische Ereignisse und Unfälle mit PKW (eOR: 1,91). Auch erhöht regelmäßiger Cannabiskonsum das Risiko für Hodenkrebs (eOR: 2,82). Bei Patienten mit psychotischen Vorerkrankungen vermindert Cannabiskonsum die Medikamentenadhärenz (eOR: 5,78) und erhöht das Risiko für einen Krankheitsrückfall (eOR: 1,88).

Die Autoren des Arzneimittelbriefs kommen demnach zu folgender Einschätzung:
„Die Autoren des Umbrella-Reviews kommen zu dem Schluss, dass der Konsum von Cannabis-Produkten bedeutsame negative Auswirkungen haben kann und bezeichnen Initiativen, die den Cannabiskonsum kommerzialisieren und auch für Jugendliche legalisieren wollen, als „extrem“, „ideologisch“ und wissenschaftlich nicht zu begründen. Neben einigen methodischen Punkten nennen sie als wichtige Einschränkung ihrer Analysen Unklarheiten über die Qualität der in den Studien verwendeten Cannabis-Produkte. Meist wird der THC-Gehalt nicht angegeben bzw. nicht kontrolliert. Da in den neueren Züchtungen des indischen Hanfs deutlich mehr THC enthalten ist, könnten die beschriebenen schädlichen Effekte in den eingeschlossenen Studien zu einer Unterschätzung der tatsächlichen Risiken führen.“

Diskussion der Ergebnisse 
Der Konsum von Cannabisprodukten als Rauschmittel hat bedeutsame negative gesundheitliche Auswirkungen. Dazu zählen das Auftreten von Psychosen und Manien sowie Suizidalität. Darüber hinaus beeinträchtigt Cannabis die Vigilanz und das Sehvermögen sowie wichtige kognitive Funktionen. Dies führt zu schlechteren Leistungen in der Schule und am Arbeitsplatz und erhöht die Unfallgefahr im Straßenverkehr. Eine besondere Gefährdung besteht für heranwachsende Menschen, weil sich Gehirn und soziale Funktionen noch entwickeln. Da sich die Altersspitze des Cannabiskonsums mit dem Erstmanifestationsalter psychiatrischer Erkrankungen (10 bis 24 Jahre) überlappt, sind besonders bei jungen Menschen sehr negative Interaktionen zu erwarten.
Deshalb ziehen die Autoren des Arzneimittelbriefs folgende Schlussfolgerungen:
„Die von den Proponenten der Freigabe vorgebrachten Argumente, dass das verkaufte Cannabis in seiner Qualität (THC-Gehalt) besser kontrollierbar sei oder dass die gesundheitlichen Schäden durch das legale Rauschmittel Alkohol wesentlich größer sind, rechtfertigen vor dem Hintergrund der geschilderten Risiken nicht die Legalisierung einer weiteren Droge. Die in Deutschland geplante (inzwischen erfolgte, KDK) Freigabe von Cannabis mit alltagsfernen und kaum kontrollierbaren Beschränkungen ist medizinisch nicht begründbar und dürfte in erster Linie zu einer zusätzlichen Ausweitung des Cannabis-Konsums führen, auch bei Jugendlichen (Bagatellisierung). Dies ist auch nach unserer Einschätzung fahrlässig und zudem auch mit unabsehbaren Konsequenzen für die Judikative, Exekutive und den Straßenverkehr verbunden. Bei einer Verordnung von medizinischem Cannabis muss ebenfalls das damit verbundene Behandlungsrisiko beachtet und therapeutische Alternativen mit besserem Nutzen-Risiko-Verhältnis berücksichtigt werden. Cannabis als Heilmittel sollte künftig auch vermehrt in RCT gegen alternative Therapieverfahren getestet werden, wie z.B. gegen Botulinumtoxin bei durch Multiple Sklerose bedingter Spastik.“

Prof. Klaus-Dieter Kolenda, Kronshagen

 

Kommentar

Da die zitierten Ergebnisse des Umbrella-Reviews3, soweit sie die Risiken des Einsatzes von Cannabis-Produkten betreffen, gesellschaftlich sehr umstritten sind und ich gebeten worden bin, dazu einen Kommentar abzugeben, will ich das im Lichte der Evidenzbasierten Medizin tun, auch auf die Gefahr hin, dass ich mich irren kann. 
Ich gehöre zu der älteren Generation von Medizinern und habe im Laufe der letzten Jahrzehnte immer wieder, z.B. in meinem Bekannten- und Freundeskreis, einen möglichen Zusammenhang zwischen der Einnahme von Cannabis und dem Auftreten von (vorübergehenden) psychotischen Symptomen oder irreversiblen Psychosen beobachtet. 
Das sind zwar anekdotische Einzelfälle gewesen, denen natürlich keine wissenschaftliche Beweiskraft zukommt (siehe unten unter Evidenzstufe IV), die aber auf mögliche Zusammenhänge hinweisen, denen mithilfe der Evidenzbasierten Medizin nachgegangen werden muss.
In der Evidenzbasierten Medizin ist bekanntlich eine Hierarchie der wissenschaftlichen Evidenz anerkannt, die folgende Evidenzstufen unterscheidet:

  • Ia: Evidenz aufgrund von Metaanalysen randomisierter klinischer Studien (RCT);
  • Ib: Evidenz aufgrund mindestens einer RCT;
  • IIa: Evidenz aufgrund mindestens einer gut angelegten kontrollierten Studie ohne Randomisierung (Beobachtungsstudie oder Kohortenstudie);
  • IIb: Evidenz aufgrund einer gut angelegten, quasi-experimentellen Studie;
  • III: Evidenz aufgrund gut angelegter, quasi-experimenteller Studien;
  • IV: Evidenz aufgrund von Berichten/Meinungen von Expertenkreisen, Konsensuskonferenzen, und/oder klinischer Erfahrung anerkannter Autoritäten.

Daraus ergibt sich: Der medizinische Nutzen von Cannabis-Produkten kann und wurde auch mithilfe von RCTs untersucht, sodass hier eindeutige positive Einschätzungen vorliegen, die oben geschildert wurden, denn RCTs gelten als Goldstandard der wissenschaftlichen Evidenz (siehe oben). Das betrifft, wie gesagt, den therapeutischen Nutzen von Cannabis-Produkten in der Tumor- und Schmerztherapie und bei chronisch-entzündlichen Darm- und einigen neurologischen Erkrankungen. 
Bei der wissenschaftlichen Untersuchung des möglichen Schadens von Cannabis-Produkten ist die Situation allerdings anders. Da auf diesem Gebiet keine RCTs möglich sind, d.h. der Goldstandard nicht durchgeführt werden kann, ist von vorherein mit den durchgeführten Studien nur eine schwächere Evidenz zu erwarten (z.B. IIa), sodass aus Beobachtungsstudien allein keine sicheren Aussagen über einen kausalen Zusammenhang zwischen der Einnahme von Cannabis-Produkten und einem möglichen aufgetretenen Schaden gemacht werden können.
Dieses Argument wird von Kritikern immer wieder vorgebracht und das wird auch in der Figure 4 des Umbrella-Reviews deutlich3. Die dort aufgeführten Metaanalysen über den Gebrauch von Cannabis-Produkten und z.B. einem möglicherweise aufgetretenen psychischen Schaden oder einer Psychose liegen alle mit ihrer eOR in einem deutlich positiven Bereich. Aber die Autoren sagen auch, dass aufgrund ihrer weiteren detaillierten Analysen die möglichen Zusammenhänge eher als suggestiv (Klasse III) bzw. schwach (Klasse IV) einzuschätzen sind.
Auch wenn deshalb ein kausaler Zusammenhang zwischen dem Gebrauch von Cannabis-Produkten und bestimmten Schäden wie z.B. psychotische Störungen aus den bisherigen Ergebnissen der durchgeführten Beobachtungsstudien allein nicht abgeleitet werden kann, liegen überzeugende oder übereinstimmende Hinweise 
für die Einschätzung vor, dass Cannabis-Konsum mit schlechter psychischer Gesundheit und Kognition verbunden ist, das Risiko von Autounfällen erhöht ist und nachteilige Auswirkungen auf die Nachkommen möglich sind, wenn der Cannabis-Konsum während der Schwangerschaft erfolgt. Deshalb kann ich mich den oben angeführten Warnungen der Autoren des Arzneimittelbriefs nur anschließen.
Dass aber auch gut durchgeführte Beobachtungsstudien entscheidend mit dazu beitragen können, wichtige Schadenszusammenhänge kausal aufzuklären, zeigt die berühmteste Beobachtungs- bzw. Kohortenstudie, die sogenannte Britische Ärztestudie von Doll und Peto über den Zusammenhang von Tabakrauchen und gesundheitlichen Schäden, die ihren Autoren den Ritterschlag eingebracht hat5. 
Diese untersuchten und verfolgten 40.000 britische Ärzte, die in vier Gruppen (Nicht-Raucher, leichte, mittlere und starke Raucher) eingeteilt wurden. Als Endpunktkriterium wurden Tod jedweder Ursache und ursachenspezifischer Tod durch eine bestimmte Erkrankung aufgeführt.
Die Publikation der Zwischenergebnisse nach 10 Jahren zeigte 1964 einen erheblichen Anstieg der Todesfälle durch Lungenkrebs wie auch der Todesfälle insgesamt bei Rauchern, wobei eine Dosis-Wirkungs-Beziehung sichtbar wurde, d.h. je mehr man raucht, desto wahrscheinlicher ist es, Lungenkrebs zu entwickeln.
Von dieser Studie war es noch ein langer Weg, um zu beweisen, dass die Verbindung von Rauchen und Krankheit eine kausale und keine zufällige ist. Die Ergebnisse dieser einflussreichen Studie nach 20, 36 und 40 Jahren, in denen eindrucksvolle 94 % der 1951 rekrutierten Teilnehmer weiterverfolgt werden konnten, zeigen sowohl die Gefahren des Rauchens auf als auch die Stärke der Beweise, die eine sauber durchgeführte Beobachtungsstudie erbringen kann.                              

 Prof. Klaus-Dieter Kolenda