Klimaaktivistinnen in Lübeck

"Die Klimakrise ist auch eine Gesundheitskrise"

Besonders ältere Menschen leiden gesundheitlich unter den Folgen des Klimawandels. Das Gesundheitswesen benötigt viel Energie – aber es gibt auch Potenzial für Einsparungen. Auch kleine Maßnahmen helfen: Fahrrad statt Auto, anderes Druckerpapier, weniger Dienstreisen. Interprofessionelle Arbeitsgruppen in Kliniken erarbeiten Vorschläge.

Der Klimawandel und das Gesundheitssystem sind untrennbar miteinander verbunden: Erstens, weil Menschen unter Hitze leiden und durch Erreger, die aus heißeren Gegenden in den Norden einwandern, neue Krankheitsbilder auftreten könnten. Zweitens, weil die Versorgung von Kranken Energie und Ressourcen verbraucht und die Medizin damit auch zu den Verursachern der Krise zählt. Vor einem Jahr fragte das Ärzteblatt zum ersten Mal bei Kliniken, Praxen und Gruppen in Schleswig-Holstein nach, was sie tun, damit der breite CO2-Fußabdruck des Gesundheitssystems künftig ein paar Schuhgrößen kleiner ausfällt. Was hat sich in den vergangenen zwölf Monaten getan?

Einsparpotential im Klinikalltag

Mit dem Drucker lässt sich CO2 sparen – das Äquivalent zu einer Tonne Kohlendioxid pro Jahr sind es im Sankt Elisabeth Krankenhaus in Eutin für alle Geräte zusammen. „Wir waren selbst überrascht“, sagt Petra Heidkamp. Die Qualitätsbeauftragte der Klinik ist seit Kurzem auch als Klimamanagerin zertifiziert, dank „KLIK green“. Drei Jahre 
lang lief dieses Projekt, das vom Bundesumweltministerium gefördert wurde. Bundesweit nahmen 250 Krankenhäuser und Reha-Kliniken daran teil, zehn davon stehen in Schleswig-Holstein. Das Ziel: Energiekosten senken. Ging es zu Beginn des Projekts, das von der Krankenhausgesellschaft Nordrhein-Westfalen, dem BUND Berlin und dem Universitätsklinikum Jena initiiert wurde, vor allem um Umweltziele, sind seit dem 24. Februar, dem Beginn des Angriffskrieges auf die Ukraine, auch finanzielle Gründe hinzugekommen. Denn die steigenden Preise für Gas, Strom und Heizöl bringen Krankenhäuser an ihre wirtschaftlichen Belastungsgrenzen. 
Für Katharina Kewitz, Medizinstudentin in Lübeck, gehören Geld und Umweltfragen zusammen: „Wenn sich jetzt Menschen fragen, wie sie ihre Nebenkosten zahlen können, ist das Folge einer Energiepolitik, die auf fossile statt auf erneuerbare Stromquellen gesetzt hat“, sagt das Mitglied der Lübecker Health for Future-Gruppe. „Man muss die Krisen gemeinsam lösen.“ Der Druck auf die Politik stelle auch eine Chance dar, nun einen nachhaltigen Weg einzuschlagen.
Bedauerlich findet sie, dass die Auswirkungen von Hitze und Trockenheit auf den menschlichen Organismus bisher kaum diskutiert und vielen gar nicht bekannt seien: „Viele Menschen wissen gar nicht, dass die Klimakrise auch eine Gesundheitskrise ist. Aber gerade Deutschland ist stark betroffen und seine Bevölkerung besonders verletzlich.“ 
Denn im Land gibt es viele alte Menschen, von denen die meisten unter Vorerkrankungen leiden. Erschwerend käme hinzu, dass viele der Ü-70-Jährigen in Städten leben. „Wir wissen, dass es dort noch bis zu 10 Grad heißer wird als außerhalb.“
Die Belastung lässt sich messen: Im Oktober veröffentlichte das Robert Koch-Institut eine Schätzung, laut der im Sommer 2022 etwa 4.500 Menschen in Deutschland infolge der Hitze gestorben sind. Auch in den anderen heißen Sommern der vergangenen Jahre, etwa 2015, 2019 und 2020, gab es einige Tausend Tote mehr. Europaweit wurde in den Monaten Juni bis August 2022 eine Übersterblichkeit von 107.000 Menschen registriert. 
„Wir haben einen unglaublichen Handlungsdruck, aber in den Medien wird Sommer und Hitze immer noch eher mit Freibad und Strand assoziiert“, sagt Kewitz. „Die Risiken treten erst allmählich in den Vordergrund.“
Um Menschen und Klima zu retten, gilt es also, Energie zu sparen, Müll zu vermeiden, umweltgerecht zu arbeiten, auch im Gesundheitssektor. „Wären alle Gesundheitssysteme der Welt ein Land, wäre dieses Land der fünftgrößte Treibhausgasemittent“, hat die „Deutsche Allianz Klima und Gesundheit“ (KLUG) berechnet. Der Verein ist in München entstanden, inzwischen gibt es bundesweit Mitglieder. Ihr Ziel ist, auf die Gesundheitsbelastung durch Hitze 
und Klimawandel hinzuweisen und die Mitglieder aller Gesundheitsberufe zu ermutigen, selbst zu Akteuren im Kampf gegen den Klimawandel zu werden. Denn „der Gesundheitssektor kann einen wichtigen Beitrag leisten, die globale Erwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen“, heißt es in einem Grundsatzpapier des Vereins. Klar ist: Das ist eine Riesenaufgabe – aber eine, die sich lohnt. Vor allem in Kliniken.
Krankenhäuser sind aus Sicht des Umwelt- und Klimaschutzes wahre Monster, die Energie verschlingen und Müll ausspucken. Laut einer Faustformel, die unter anderem von der Fachzeitschrift „Lancet“ veröffentlicht wurde, braucht ein einziges Klinikbett so viel Energie wie vier Einfamilienhäuser, ein Krankenhaus hat den Jahresverbrauch einer Kleinstadt. Tobias Emler, Klimamanager der Universitätsmedizin Essen, spricht im Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung von rund 50.000 Megawattstunden Strom pro Jahr, die das Uniklinikum Essen verbraucht: „Das ist mehr, als 10.000 Einfamilienhäuser benötigen.“ 
Die Gründe leuchten ein: In einem Krankenhaus laufen rund um die Uhr und an 365 Tagen im Jahr viele Geräte, von Deckenlampen bis zu Beatmungsmaschinen. Der Gerätepark in OP-Sälen und Intensivstationen braucht Energie, die Zimmer müssen im Winter ordentlich beheizt und im Sommer gekühlt werden. Da kann man nichts machen? Doch, kann man, bewies das KLIK-green-Projekt. Bei dem Programm, in dessen Rahmen in allen teilnehmenden Häusern Klimamanager ausgebildet wurden, sparten die beteiligten 200 Kliniken und 50 Reha-Einrichtungen mit 1.600 Maßnahmen rund 200.000 Tonnen Klimagas ein, heißt es in der Pressemitteilung zum Abschluss der Projektphase. Damit ist das angepeilte Minimalziel von 100.000 Tonnen deutlich überschritten worden.
Das Sankt Elisabeth Krankenhaus in Eutin zählt mit 118 Betten zu den kleineren der am Projekt beteiligten Häuser. Auch hier ist das Projekt inzwischen beendet, aber die Arbeit geht weiter, berichtet Klimamanagerin Heidkamp. Das Haus versorgt überwiegend geriatrische Patienten, dazu kommen eine Innere und eine Palliativstation. Daher sei in einigen Bereichen Energiesparen unmöglich: „Im Patientenbereich können wir die Heizung nicht herunterdrehen.“

Liste für Sofortmaßnahmen definiert

Dennoch haben die Klimamanagerin und eine neu gegründete Klimagruppe zahlreiche Bereiche gefunden, an denen bisher zu viel Energie und Müll verbraucht wurden. „Wir haben eine Reihe von Sofortmaßnahmen, sozusagen die must haves, identifiziert“, berichtet Heidkamp aus den Workshops. Eine der ersten Maßnahmen betrifft die Drucker: „Wir verwenden nur noch Recyclingpapier, und alle Blätter werden doppelseitig bedruckt.“ Als sie diese Idee zum ersten Mal in größerer Runde vortrug, „gab’s erstmal einen Aufschrei“, erinnert sie sich. „Einige befürchteten, die Drucker würden sich nicht mit dem Papier vertragen, andere hielten das Verfahren für zu kompliziert.“ Ihr Rat: „Alle Pläne offen kommunizieren und transparent erklären, warum wir das machen wollen. Und dann umsetzen.“ Inzwischen sind die Bedenken vergangen: „Es stört heute keinen Menschen, ob das Papier nicht ganz blütenweiß aussieht, und die Drucker kommen auch mit Recyclingprodukten klar.“ Mit Sorgen und Kritik geht sie inzwischen gelassen um: „Bei allen Neuerungen gibt es erstmal Bedenken, aber am Ende klappt es doch.“
Eine weitere Sofortmaßnahme war, dass auf Dienstfahrten weitgehend verzichtet wird. „Da hat Corona den Weg geebnet“, sagt Heidkamp. Wo immer es geht, finden Treffen online oder hybrid statt. 4,4 Tonnen CO2 konnte die Klinik allein dadurch schon einsparen.
In anderen Fällen heißt es heute Fahrrad statt Auto: Wer von den Beschäftigten des Sankt Elisabeth Krankenhauses umweltfreundlich zur Arbeit gelangen möchte, kann bei einem örtlichen Händler ein E-Bike oder klassisches Rad zu günstigen Bedingungen leasen. Diese Aktion ist eines der neusten Angebote, weitere sind bereits in Planung. „Unsere Klimagruppe trifft sich monatlich und berät, was wir der Umwelt und dem Krankenhaus Gutes tun können“, sagt Heidkamp. Sechs Personen aus ganz unterschiedlichen Bereichen des Hauses beteiligen sich, und nach Bedarf werden Gäste eingeladen, etwa zum Thema „Abfall in Patientenzimmern“, das sich das Klimateam demnächst genauer anschauen will: „Zurzeit landet alles in einem Papierkorb, von der Zeitung bis zum Joghurtbecher, das finden auch die Patienten nicht gut“, sagt Heidkamp. Doch das Problem ist komplex und wirft neue Fragen auf: Soll es künftig mehrere Abfallkörbe geben, und wenn ja, für welche Müllsorten? Was passiert, wenn Abfall falsch sortiert wird, und welche Mehrarbeiten fallen dadurch für welche Abteilungen an? Es sind also noch einige Fragen zu klären: „Abfalltrennung hört sich klein an, ist aber eine Riesenaufgabe“, sagt die Klimamanagerin.
Am einfachsten ist Klimaschutz, wenn er von vornherein mitgedacht wird. Das Eutiner Sankt Elisabeth Krankenhaus erhält einen neuen Anbau – und hier wird bereits bei der Planung an die Umwelt gedacht. Auf dem Dach soll eine Photovoltaikanlage errichtet werden, und statt einer asphaltierten Zufahrt soll ein Schotterrasen angelegt werden, der Regenwasser aufnehmen kann. Außerdem soll das Grundstück mit bienenfreundlichen Blumen und Sträuchern bepflanzt werden. 

Gesetzliche Regelungen notwendig

Zurzeit hilft auch die Debatte über Energiepreise: In der Verwaltung und anderen Abteilungen, die jenseits der von Patienten frequentierten Bereiche liegen, sind die Heizkörper niedriger gestellt und es werde öfter gelüftet. Auch die Rechner werden allabendlich heruntergefahren, dafür sorgen Aufkleber an den Geräten, die dazu auffordern. „Es gibt bereits eine Sensibilisierung der Beschäftigten“, freut sich Heidkamp.
Inzwischen wird nicht nur Kälte, sondern auch Hitze als Problem erkannt. „Der vergangene Sommer hat es wieder gezeigt: Wir haben schon heute deutlich mehr Tropentage pro Jahr als früher.“ Gerade für die geriatrischen Patienten sei es wichtig, ausreichend zu trinken. Aber auch das Personal leide unter der Hitze: „Studien zeigen, dass die Hilfsbereitschaft und die Motivation, Kranke zu mobilisieren, bei großer Hitze sinken, besonders wenn in Schutzkleidung gearbeitet werden muss“, berichtet Heidkamp. Daher recherchiert das Klimateam gerade zum Thema Kühlwesten.
Froh ist die Klimamanagerin, dass die Klinikleitung hinter dem Projekt steht und es spürbar unterstützt. So kam der erste Anstoß, sich bei KLIK green zu beteiligen, von der Geschäftsführung. Außerdem werden die Mitglieder des Klimateams für ihre Treffen freigestellt. Heidkamp nimmt darüber hinaus an Gesprächskreisen mit anderen Klinikmanagern teil: „Wir profitieren voneinander, weil wir Ideen weitergeben und hören, was anderswo funktioniert.“ So testet eine Klinik in Nordrhein-Westphalen einen Anbieter, der medizinische Einwegprodukte recycelt. Heidkamp hält so ein Verfahren für sinnvoller als den Versuch, im eigenen Haus Geräte zu sterilisieren: „Das kostet Energie, verursacht also auch wieder CO2.“ 
Ein Ergebnis des KLIK-green-Projekts lautet: Zwar können Kliniken in eigener Regie an einer Reihe von Stellschrauben drehen, um Energie und Abfall zu sparen. Doch um im großen Stil etwas zu erreichen, braucht es Vorgaben statt freiwilliger Lösungen. 
Andere Länder haben sich bereits auf den Weg gemacht, heißt es in einer Information des Vereins KLUG: „Das britische Gesundheitssystem NHS hat sich bereits dem Ziel Klimaneutralität verschrieben. Treiber ist dort die zentral angesiedelte Abteilung für nachhaltige Entwicklung.“ Deutschland habe keine entsprechende übergreifende Verpflichtung und auch keine Gesamtstrategie zur Nachhaltigkeit. „Dadurch werden zentrale Lösungen erschwert“, bemängelt die Gruppe.
Solche zentralen Lösungen würden sowohl für den Gesundheitsschutz der Bevölkerung als auch für die Energiebilanzen des Gesundheitssystems gebraucht. So fehlen auf der Vorsorgeseite verpflichtende Hitzeschutzkonzepte in den Kommunen, um Ältere und Vorerkrankte in Rekordsommern zu schützen. Und bei der Gebäudeplanung oder beim Einkauf gilt Wirtschaftlichkeit, nicht Nachhaltigkeit als das oberste Gebot. 
„Es gibt für alles Bestimmungen, und als Einzelperson steht man hilflos davor“, sagt die Health-for-future-Aktivistin Katharina Kewitz. „Die Politik muss den Rahmen ändern.“ 
Gespräche mit Entscheidungsträgern über solche Fragen seien anstrengend, sagt Kewitz. „Manchmal kann das frustrierend sein. Aber wir sehen auch, was die Bewegung erreicht hat in den vergangenen Jahren. Das motiviert.“ 
Motivierend sei ebenfalls, dass in der Ärzteschaft das Bewusstsein für Klima- und Umweltthemen wächst – das zeigte sich in den vergangenen Monaten bei Veranstaltungen der Kammer, in denen, wie berichtet, Umwelt- und Klimafragen breit diskutiert wurden.
Kewitz hofft, dass die Ärztinnen und Ärzte diesen Schwung in ihre Praxen mitnehmen. Dort könnten sie täglich viel bewirken: „Schließlich sind sie Multiplikatoren, sie genießen Vertrauen und haben Kontakt zu vielen Menschen. Jede und jeder kann eine Stimme für Klimagerechtigkeit sein.“
Ein Weg, mehr zu tun, ist das Engagement bei Health for Future. Sowohl in Kiel als auch in Lübeck gibt es Gruppen, mitmachen können alle Interessierten: „Wir sind kein Verein, sondern eine Bewegung, jeder kann unverbindlich vorbeikommen und eigene Ideen einbringen“, sagt Kewitz. 
Von der Ärztekammer Schleswig-Holstein wünscht sich die Aktivistin über die bisherigen Debatten und Beschlüsse hinaus noch mehr Einsatz auf der politischen Ebene. „Denn der Kampf gegen den Klimawandel ist alternativlos.“
Wer sich auf den Weg macht, entdeckt bald, wo sich der Kampf besonders lohnt. So hat sich im Lauf des KLIK-green-Projekts ergeben, dass in OP-Sälen ein großes Einsparpotenzial besteht: „Alle Narkosegase sind direkte und potente Treibhausgase“, heißt es auf der Homepage des Projekts. „Sie beschleunigen die globale Klimaerwärmung, wenn sie bei einer Vollnarkose über das Krankenhausdach ungefiltert in die Atmosphäre gelangen.“ Die Emissionen einer einzigen Vollnarkose bei einer siebenstündigen OP entsprechen einer Autofahrt von 8.000 Kilometern – und es finden sieben Millionen Vollnarkosen in Deutschland pro Jahr statt. Die Gase verweilen lange in der Atmosphäre, bei Lachgas sind Spuren noch nach 114 Jahren nachweisbar. 
Heute werden Wirkstoffe wie Desfluran, Isofluran oder Lachgas am Narkosegerät abgesaugt und in die Außenluft geleitet, um das Personal im OP-Saal nicht zu gefährden. Während der Projektphase machten sich 13 Kliniken daran, das Gas zu filtern, zu sammeln und zurückzugewinnen und erreichten damit „eine Reduzierung von CO2-Äquivalenten, die ungefähr den Aktivitäten in den Bereichen Abfall, Ernährung, IT und Mobilität aller KLIK-green-Einrichtungen entspricht“, teilt die Projektgruppe mit. 
„Damit sich hier alle beteiligen, müsste es eine gesetzliche Regelung geben“, wünscht sich Heidkamp und nennt ein Beispiel, das Hoffnung macht: „Das Klimagas FCKW war früher überall im Einsatz, doch als es verboten wurde, gab es schnell neue Lösungen.“ 

Autor: Esther Geisslinger

Fahrrad statt Auto
Demo in Lübeck: Gesundheit braucht Klimaschutz
Klimastreik
Klimaaktivistinnen in Lübeck