
Kompetenzzentrum für Justizgutachten nimmt Arbeit auf – Ärztekammer Schleswig-Holstein unterstützt Justiz durch gezielte Vermittlung psychologischer und psychiatrischer Sachverständiger
Kompetenzzentrum für Justizgutachten nimmt Arbeit auf – Ärztekammer Schleswig-Holstein unterstützt Justiz durch gezielte Vermittlung psychologischer und psychiatrischer Sachverständiger
Bad Segeberg / Kiel, 1. Juli 2025. Im Juli startet in Schleswig-Holstein das „Kompetenzzentrum Psychiatrische und Psychologische Justizgutachten“ (KPJ), ein bisher bundesweit einzigartiges Projekt, welches das Ministerium für Justiz und Gesundheit (MJG) und die Ärztekammer Schleswig-Holstein (ÄKSH) errichtet haben. Ziel ist, den Mangel an psychiatrischen und psychologischen Sachverständigen bei Justizverfahren zu beseitigen und qualifizierte Sachverständige auf Anfragen aus der Justiz zu vermitteln.
„Psychologische und psychiatrische Gutachten sind häufig von immenser Bedeutung für die Justiz und Strafverfolgung. Bundesweit gibt es ein Mangel an psychologischen und psychiatrischen Gutachterinnen und Gutachtern, der sich nicht einfach beheben lässt. Wir tun jedoch alles dafür, dass verfügbare Sachverständige und Justiz bestmöglich zusammenfinden und wir darüber hinaus mehr qualifizierte Gutachterinnen und Gutachter hinzugewinnen. Dass Gerichte und Staatsanwaltschaften in Schleswig-Holstein auf ein zentrales, fachlich fundiertes Angebot zur Gutachtervermittlung werden zurückgreifen können, ist ein deutlicher Fortschritt für eine effiziente Justiz. Das Projekt ist ein weiteres Beispiel dafür, wie die Bereiche Justiz und Gesundheit wirkungsvoll Hand in Hand arbeiten“, erläutert Ministerin von der Decken.
Zentrales Element des Kompetenzzentrums ist eine Vermittlungsstelle, die qualifizierte Sachverständige für Anfragen aus der Justiz vermittelt. Sie ist bei der Ärztekammer Schleswig-Holstein in Bad Segeberg angesiedelt. Dr. Gisa Andresen, ärztliche Geschäftsführerin der Ärztekammer Schleswig-Holstein, erklärt: „Als berufsständische Organisation verfügen wir über umfassende Erfahrungen in der fachlichen Qualifizierung, der Qualitätssicherung und der Förderung ethischer Standards. Mit dem Kompetenzzentrum, das auf interdisziplinären Austausch und klare Qualitätsstandards setzt, stärken wir den Rechtsstaat und schützen die Rechte der betroffenen Menschen.“
Die Leiterin der Vermittlungsstelle, Dr. Victoria Witt, Fachärztin für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie, bekräftigt: „Aus meiner eigenen Erfahrung in der Begutachtungspraxis weiß ich, dass vielen Kolleginnen und Kollegen häufig der fachliche Austausch, die Orientierung und das Wissen über verbindliche Qualitätsstandards fehlen. Gleichzeitig nimmt die Bedeutung psychologischer und psychiatrischer Gutachten für Justiz und Gesellschaft stetig zu – etwa bei der Einschätzung von Schuldfähigkeit oder Gefährdung. Deshalb ist es dringend notwendig, verlässliche Strukturen und Unterstützungsangebote zu schaffen.“
Zu Beginn der Arbeit wird die Vernetzung zu den Sachverständigen und Erstellung und Erweiterung eines entsprechenden Verzeichnisses im Fokus stehen.
Zu den Aufgaben des Kompetenzzentrums gehören daher neben der Vermittlung von Sachverständigen
- das Angebot und die Weiterentwicklung von Fortbildungen,
- interdisziplinäre Praxisaustausche der beteiligten Professionen,
- die Anleitung von Nachwuchskräften / Fallsupervision sowie die
- Entwicklung und Erhalt von Fachwissen zur Nutzung für die Akteure.
Weiterer Bestandteil des Kompetenzzentrums ist ein interdisziplinär zusammengesetztes Fachgremium, das auch dazu beitragen soll, die Kommunikation der einzelnen Bereiche untereinander zu verbessern. Mitglieder sind Frau Prof. Dr. Silvia Gubi-Kelm, Fachpsychologin für Rechtspsychologie, Dr. Christine Heisterkamp, Forensische Psychiaterin und Oberstaatsanwalt Dr. Achim Hackethal, Staatsanwaltschaft Kiel. Das Fachgremium berät die Vermittlungsstelle beispielsweise bei strukturellen und fachlichen Fragen zur Ausrichtung, stellt Fachinformationen bereit und unterstützt im Bereich Fortbildung. Finanziert wird die Vermittlungsstelle des Kompetenzzentrums bei der Ärztekammer durch das Land anteilig mit 50.000 Euro jährlich u.a. für die geschaffene Facharztstelle.
Hintergrund:
Psychologische oder psychiatrische Sachverständige leisten mit ihren Gutachten einen wertvollen Beitrag für den justiziellen Alltag. Die Bewertung der Schuldfähigkeit, Prognoseentscheidungen im Justiz- und Maßregelvollzug, die Beurteilung der Glaubhaftigkeit von Zeugenaussagen sowie Entscheidungen, die das Umgangsrecht oder eine Kindeswohlgefährdung betreffen, sind Beispiele dafür. Alle Justizzweige sind auf zeitnah verfügbare psychologische und psychiatrische Sachverständige angewiesen. Zur Beschleunigung der Verfahren und Qualitätssicherung der Gutachten müssen qualifizierte Sachverständige für Behörden gut und schnell erreichbar sein. Anfang des Jahres 2025 hatten das Ministerium und die Ärztekammer die Einrichtung des Kompetenzzentrums wie mitgeteilt vereinbart.
Die Erstellung eines Gutachtens erfolgt in der Regel durch eine sogenannte Exploration, also durch ausführliche Gespräche mit den betroffenen Personen, ergänzt durch Aktenstudium und gegebenenfalls Testverfahren. Häufig nehmen die Sachverständigen auch an der Verhandlung vor Gericht teil, um ihr Gutachten zu erstatten und für Rückfragen zur Verfügung zu stehen. Ihre Einschätzungen haben großes Gewicht für die Entscheidungsfindung der Gerichte – sei es im Strafprozess, bei Unterbringungsfragen oder in familiengerichtlichen Verfahren.