Das Privileg, selbst zu bewegen und zu gestalten

Prof. Doreen Richardt

INTERVIEW Prof. Doreen Richardt ist seit wenigen Wochen neue Vizepräsidentin der Ärztekammer Schleswig-Holstein. Im neuen Amt will sich die kammererfahrene Herz- und Gefäßchirurgin nicht nur um Weiterbildung kümmern. Über ihre Ziele, und wie sie diese trotz einer herausfordernden Tätigkeit am UKSH erreichen will, sprach sie in Bad Segeberg mit Dirk Schnack. 

Sie haben sich nach mehreren Jahren Vorstandserfahrung in der Ärztekammer zur Vizepräsidentin wählen lassen. Was reizt Sie an diesem Amt?
Prof. Doreen Richardt: Ich habe das natürlich sorgsam für mich abgewogen und es erschien mir schlüssig, nach rund elf Jahren ehrenamtlichen Engagements in der Ärzte­kammer für dieses Amt zu kandidieren. Ich war nach so langer Zeit vertraut mit der Arbeitsweise und kannte auch schon viele Mitarbeitende in der Verwaltung, sodass es kein komplettes Neuland für mich war. 
Dennoch ist das Amt natürlich eine große Herausforderung – die finde ich reizvoll, genauso wie die damit verbundenen Chancen. Ich glaube, dass es eine extrem herausfordernde Zeit für die Ärzteschaft ist – wegen vieler externer Einflüsse, aber auch, weil viele Mitglieder der Ärztekammer der Selbstverwaltung gegenüber kritisch eingestellt sind und es nach meinem Eindruck nicht allen bewusst ist, welchen Wert die ärztliche Selbstverwaltung für jedes Mitglied hat.

Welchen Wert hat sie, warum ist die ärztliche Selbstverwaltung aus Ihrer Sicht so wichtig?
Richardt: Ich betrachte es als Privileg, dass wir für unseren Berufsstand selbst etwas bewegen können, indem wir die Rahmenbedingungen mitgestalten. Wir müssen aufpassen, dass uns das nicht abhandenkommt und wir „Berufspolitik-müde“ werden. Es gibt von politischer Seite Bestrebungen, das zu beschneiden – das müssen wir aus meiner Sicht unbedingt verhindern. Dazu müssen wir natürlich erreichen, dass den Mitgliedern der Wert dieser Selbstverwaltung bewusst ist. Ich habe früher selbst die Ärztekammer kritisiert, sie galt mir sogar als „persönlicher Feind“. Ich bin daraufhin von der Leiterin der Weiterbildungsabteilung, Manuela Brammer, eingeladen worden, mich einzubringen. Erst danach habe ich verstanden, was die Selbstverwaltung leistet, warum manche Prozesse mühsam sind und dass die Beschäftigten in der Kammer für uns unterwegs sind. Ich habe auch verstanden, dass man Dinge ansprechen kann und sollte, wenn man etwas verändern möchte. 
Wertvoll ist für mich der demokratische Prozess, mit dem alle Entscheidungsträger der Selbstverwaltung gewählt werden. Die gesamte Ärzteschaft des Landes ist aufgerufen, die Kammerversammlung zu wählen, die wiederum die weiteren Organe und Gremien bestimmt. Kammerversammlung und Vorstand erlebe ich als ex­trem dynamisch. Es gibt sehr intensive und offene Diskussionen, ohne Vorabsprachen. Nach meiner Wahrnehmung wollen alle etwas bewegen und arbeiten mit viel Engagement daran, für die Ärztinnen und Ärzte im Land etwas zu erreichen. Das sieht man zum Beispiel an der Weiterbildungsordnung, die wir jährlich anpassen.


„Die ärztliche Tätigkeit kann und will ich nicht aufgeben. Ich halte es für wichtig, weiterhin in der Praxis zu erleben, wofür ich standespolitisch arbeite und welche Auswirkungen das hat.“
Prof. Doreen Richardt


Damit wären wir bei dem Bereich, mit dem Sie sich die vergangenen Jahre als Vorsitzende des Weiterbildungsausschusses extrem stark beschäftigt haben. Warum ausgerechnet mit diesem Bereich?
Richardt: Es ist der aus meiner Sicht wichtigste Bereich für Ärztekammern. Hier müssen wir dafür sorgen, dass die Rahmenbedingungen für alle Seiten so passen, dass eine gute Weiterbildung gelingt. Das ist ein Balanceakt zwischen den unterschiedlichen Fachbereichen, den Ansprüchen von Ärztinnen und Ärzten in Weiterbildung und den Weiterbildungsbefugten sowie den Einrichtungen, die weiterbilden. Nicht umsonst ist der Weiterbildungsausschuss der größte der Ärztekammer und zum Glück wollen so viele Kolleginnen und Kollegen daran mitwirken. Darüber bin ich froh, aber auch, dass Präsident Prof. Henrik Herrmann Co-Vorsitzender der StäKo Weiterbildung der Bundesärztekammer, deren Mitglied ich auch bin und wir im Tandem hoffentlich einiges bewirken können in diesem Bereich. 
 
Als Vizepräsidentin der Ärztekammer Schleswig-Holstein sind Sie nicht nur für diesen einen Bereich, sondern für viele weitere zuständig. Was wollen Sie außerhalb der Weiterbildung erreichen?
Richardt: Inhaltlich werden uns neben der Weiterbildung mit Sicherheit die Notfallversorgung und die Krankenhausreform besonders stark beschäftigen. Das gilt auch für die vielen weiteren Reformen, die aus dem Bundesgesundheitsministerium kommen. Extrem wichtig ist aus meiner Sicht die sektorenübergreifende Versorgung – da gibt es noch sehr viel zu optimieren. Diese Aufgabe hat noch einmal deutlich mehr Gewicht als in früheren Zeiten, damit uns auch künftig noch genügend Ärztinnen und Ärzte für die Versorgung zur Verfügung stehen. 
Auch die Frage, wie wir die Versorgung und Betreuung von Kindern- und Jugendlichen in unserem Land gewährleisten, gehört auf die Tagesordnung. Das geht nach meiner Ansicht deutlich über den Gesundheitssektor hinaus. Es beginnt schon bei der Betreuungssituation in der Krippe. Dieser Bereich liegt mir als Mutter von sechs Kindern und vier Enkeln natürlich eng am Herzen und ich halte es auch für angemessen, wenn wir uns als Ärzteschaft in solche Themen einbringen.  
Es gibt aber noch viel mehr Bereiche, mit denen wir uns beschäftigen müssen und auch beschäftigen werden. Das ärztliche Miteinander, unserer Kultur des Miteinanders und Austauschs, müssen wir überdenken. Ein anderes großes Thema ist der Klimawandel. Zum Glück haben wir im Vorstand sehr engagierte Kolleginnen, die dieses Thema verfolgen. Das finde ich richtig und das Engagement für Nachhaltigkeit hat meine volle Unterstützung.

Wie werden Sie die Aufgaben künftig in der Ärztekammer zwischen den Entscheidungsträgern verteilen?
Richardt: Über die konkrete Ausgestaltung werden wir uns noch unterhalten und ich bin sicher, dass wir zu einer guten Aufgabenverteilung finden. Mir ist zunächst wichtig, dass wir trotz des Wechsels in Vorstand und Geschäftsführung weiterhin als Team gut funktionieren. Auch nach dem Abschied beider Geschäftsführer darf kein Bruch entstehen. Mit der Wahl der bisherigen Vizepräsidentin Dr. Gisa Andresen zur neuen ärztlichen Geschäftsführerin sind aus meiner Sicht die Weichen für eine kontinuierliche Kammerarbeit gestellt worden. Ich kann mir die Zusammenarbeit mit ihr, dem Präsidenten und dem gesamten Vorstand sehr gut vorstellen, als Einzelkämpferin nehme ich mich nicht wahr.


Podcast des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblattes

Staffel 5 Folge 13: Die neue Vizepräsidentin: Prof. Doreen Richardt

Sie verfügt über viele Jahre Erfahrung in der Vorstandsarbeit und als Vorsitzende des Weiterbildungsausschusses. Doch wofür steht die neue Vizepräsidentin der Ärztekammer Schleswig-Holstein außerdem? Im Podcast gibt sie Antworten.


 


Mit den neuen Aufgaben wachsen auch die Erwartungen und Ansprüche an Sie persönlich. Wie gehen Sie mit diesen Erwartungen um?
Richardt: Ich habe hohen Respekt vor der Aufgabe. Es geht darum, die Erwartungen der Kolleginnen und Kollegen zu erfüllen – das allein ist schon ein hoher Anspruch. Dazu gehört aber auch eine stärkere Präsenz in der Öffentlichkeit, als ich sie bislang aus meiner hauptamtlichen und meiner ehrenamtlichen Tätigkeit gewohnt bin. Dazu gehört eine öffentliche Positionierung in Fragen der Ethik, der Versorgung und weiteren Themen – das empfinde ich als Herausforderung und habe deshalb natürlich großen Respekt davor. Der ist aus meiner Sicht aber auch nachvollziehbar, wahrscheinlich sogar erforderlich.

Also eine große Herausforderung für ein Ehrenamt. Als Vizepräsidentin sind Sie aber weiterhin hauptamtlich ärztlich tätig. Worin besteht Ihr beruflicher Alltag? 
Richardt: Die ärztliche Tätigkeit kann und will ich nicht aufgeben. Ich halte es für wichtig, weiterhin möglichst täglich in der Praxis zu erleben, wofür ich standespolitisch arbeite und welche Auswirkungen das hat. Deshalb werde ich weiterhin als Oberärztin in der Chirurgie am UKSH in Lübeck tätig sein. Zu meinen Aufgaben zählt auch die Lehre, ich halte Vorlesungen, prüfe Staatsexamen und bin Doktormutter. Einen Teil meiner Arbeitszeit nutze ich für meine Tätigkeit in der Schwerbehindertenvertretung. Diese Arbeit halte ich für ex­trem wichtig, sie betrifft immerhin 500 Beschäftigte am UKSH in Lübeck und 300 in Kiel. Außerdem bin ich in das FamSurg-Projekt eingebunden, das das Operieren in der Schwangerschaft ermöglicht. Dieses Thema werde ich weiterhin begleiten. Ich bin meinem Chef Prof. Tobias Keck sehr dankbar, dass er so viel Unterstützung bietet.

Und wie vereinbaren Sie eine so vielfältige berufliche Tätigkeit mit einem aufwendigen Ehrenamt?
Richardt: Ich habe die Erfahrung gemacht: Wenn man Beruf und das ehrenamtliche Engagement gerne macht, ist die zeitliche Beanspruchung leichter zu ertragen. Seit meine Kinder aus dem Haus sind, steht mir für Beruf und Ehrenamt mehr Zeit zur Verfügung. Und ich gehöre zu den Menschen, die kaum Zeit vor dem Fernseher verbringen – ich schaue nur sehr ausgewählt und nutze die Zeit lieber für Sport und Familie – beides gibt mir Kraft.  

Vielen Dank für das Gespräch.