Kompetenzzentrum für Justizguachten (KPJ) ist gestartet
Interview mit Dr. Victoria Witt
Um den Mangel an psychiatrischen und psychologischen Sachverständigen bei Justizverfahren zu beseitigen, haben das Ministerium für Justiz und Gesundheit und die Ärztekammer Schleswig-Holstein (ÄKSH) ein bislang in Deutschland einzigartiges Kompetenzzentrum für psychiatrische und psychologische Justizgutachten Schleswig-Holstein (KPJ) errichtet. Ein wichtiger Teil des Kompetenzzentrums ist eine Vermittlungsstelle, um qualifizierte Sachverständige auf Anfragen aus der Justiz zu vermitteln. Die Vermittlungsstelle ist bei der Ärztekammer Schleswig-Holstein angesiedelt und wird von der Fachärztin für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie, Dr. Victoria Witt, geleitet.
Im Interview erzählt sie, wie der Aufbau der Vermittlungsstelle geplant ist und warum ein Kompetenzzentrum für Justizgutachten gerade jetzt sinnvoll ist.

Warum ist ein Kompetenzzentrum für Justizgutachten (KPJ) in Schleswig-Holstein gerade jetzt erforderlich?
Der Bedarf an qualifizierten Sachverständigen in der Justiz ist ungebrochen – und gleichzeitig zeichnet sich in vielen Bereichen bereits ein Mangel ab. Unter anderem die spezifischen Fragestellungen unterschiedlicher Rechtsgebiete und die Altersstruktur vieler erfahrener Gutachter*innen machen deutlich: Wir müssen jetzt handeln, um die Qualität und Verfügbarkeit von Gutachten langfristig zu sichern. Ein Kompetenzzentrum ist dabei ein zentraler Baustein, um Ausbildung, Struktur und Qualität in diesem anspruchsvollen Bereich gezielt weiterzuentwickeln.
Gibt es konkrete Fälle oder Entwicklungen, die den Handlungsdruck erhöht haben?
Ja – unter anderem zeigen Erfahrungen aus der Versorgung, dass viele Kolleginnen und Kollegen zwar Gutachten erstellen und dies im Rahmen ihrer Weiterbildung ja auch müssen, sich dabei aber manchmal unzureichend vorbereitet fühlen. Auch aus meiner eigenen Tätigkeit in der Begutachtungspraxis weiß ich: Es fehlt manchmal an Austausch, an Orientierung und Wissen über Qualitätsstandards. Gleichzeitig wächst die gesellschaftliche und juristische Bedeutung von Gutachten – z. B. in Fragen der Schuldfähigkeit, der Gefährlichkeit oder der Prognose. Die Notwendigkeit, verlässliche Strukturen zu schaffen, ist groß.
Was unterscheidet das Kompetenzzentrum von bestehenden Strukturen?
Das KPJ bringt verschiedene Professionen und Akteure gezielt zusammen – Psychiater, und Psychotherapeuten, Rechtspsychologen, Vertreter der Justiz und weitere Fachleute. Der Fokus liegt auf Austausch, Qualitätssicherung und Transparenz. Wir wollen Synergien nutzen, Fortbildungsangebote entwickeln, Intervisions- und Mentoringstrukturen vernetzen – und damit nicht nur die fachliche Qualität, sondern auch das Vertrauen in die Gutachten erhöhen.
Gibt es schon Erfahrungen oder Pilotprojekte, auf die aufgebaut werden kann?
Ja, es gibt in einzelnen Fachbereichen bereits wichtige Grundlagen: In der psychiatrischen Weiterbildung ist die wissenschaftlich begründete Gutachtenerstellung als fester Bestandteil verankert. Auch Fachgesellschaften wie die Deutsche Gesellschaft für neurowissenschaftliche Begutachtung oder rechtspsychologische Netzwerke verfolgen das Ziel, Qualität zu sichern und Ressourcen zu bündeln. Doch bislang fehlte eine übergreifende, interdisziplinäre Struktur, die alle Beteiligten systematisch miteinander verbindet.
Genau hier setzt das Kompetenzzentrum für Justizgutachten an – unter Federführung des Ministeriums für Justiz und Gesundheit beschreiten wir ganz bewusst neue Wege. Diese strukturierte Form der Vernetzung und Kooperation ist deutschlandweit ein Novum – und es wird sehr spannend sein zu beobachten, welches Potenzial wir gemeinsam entfalten können.
Welche nächsten Schritte sind konkret geplant?
Der Aufbau des Zentrums erfolgt in enger Abstimmung mit einem interdisziplinären Fachgremium, das die Entwicklung fachlich begleitet. Ein zentrales Steuerungsgremium wird zudem die strategische Ausrichtung sichern. Erste digitale Informationsangebote, eine zentrale Website und Fortbildungsangebote sind in Planung. Die Vernetzung mit Fachgesellschaften und Weiterbildungsstätten wird sukzessive ausgebaut.
Welche Unterstützung erhalten Ärztinnen und Ärzte, die erstmals Gutachten erstellen wollen?
Zunächst werden wir auf unserer Website sukzessive strukturierte Informationen bereitstellen. Außerdem sollen erste Fortbildungsveranstaltungen geplant werden, die praxisnah und niedrigschwellig an das Thema heranführen. Interessierte sollten zudem gezielt das Gespräch mit ihren Weiterbildern suchen oder sich Intervisionsgruppen anschließen – hier wollen wir auch organisatorisch unterstützen. Noch stehen wir am Anfang – deshalb werden wir genau hinschauen, wo der Bedarf am größten ist, und entsprechend nachsteuern.
Welche Art von Fortbildungen sind geplant?
Wir entwickeln Fortbildungen in enger Rückkopplung mit der Praxis – orientiert an den tatsächlichen Bedarfen. Ziel ist es, Angebote zu schaffen, die praxisrelevant, qualitätsfördernd und leicht zugänglich sind.
Was erwarten Sie in Bezug auf die durchzuführenden Verfahren?
Wir erhoffen uns in mehrfacher Hinsicht eine Entlastung: Zum einen soll die Suche nach geeigneten Sachverständigen für Gerichte und Staatsanwaltschaften vereinfacht werden. Zum anderen wollen wir mehr Kolleg*innen für die spannende und verantwortungsvolle Aufgabe der Begutachtung gewinnen – vor allem Fachkräfte bereits früh in der Aus- und Weiterbildung sowie gerne mit Fremdsprachenkenntnissen. Das Kompetenzzentrum soll damit nicht nur Qualität sichern, sondern aktiv zur Nachwuchsförderung beitragen.