Mann mit Brille und im blauen Arztkittel schaut in die Kamera
Prof. Konrad Aden © Katrin Mainka / UKSH
Prof. Konrad Aden © Katrin Mainka / UKSH

Kombination zweier Genvarianten begünstigt Entzündung und Krebs

Ein Kieler Forschungsteam hat zwei Genveränderungen identifiziert, die im Zusammenspiel bei Menschen mit chronischen Darmentzündungen das Risiko für Darmkrebs erhöhen könnten.

Chronische Darmentzündungen (CED), etwa Colitis Ulcerosa oder Morbus Crohn, fördern das Risiko für die Entstehung von Darmkrebs – das ist bekannt. Welche Faktoren einer Entzündung im Detail die Krebsentstehung begünstigen oder antreiben, war dagegen bislang unklar. Ein Forschungsteam des Exzellenzclusters PMI hat kürzlich herausgefunden, dass eine Kombination von zwei Genvarianten, die als Risikogene für CED bekannt sind, auch die Krebsentstehung begünstigt. Diese Beobachtung ermöglicht laut Mitteilung des PMI ein besseres funktionelles Verständnis der zugrunde liegenden Krankheitsmechanismen. Seine Ergebnisse hat das Team um Prof. Konrad Aden vom Institut für Klinische Molekularbiologie (IKMB) der Medizinischen Fakultät der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) und des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein (UKSH), Campus Kiel, nun im Fachjournal Oncogeneveröffentlicht.

Im Fokus stehen zwei Gene
Das Gen Xbp1 kodiert für Proteine, die für das Gleichgewicht des endoplasmatischen Retikulums (ER) wichtig sind. Das ER hat in der Zelle mehrere Aufgaben, es stellt z. B. Proteine her und formt sie in die richtige Struktur. Gerät das ER unter Stress, etwa durch Entzündungsprozesse, entstehen zu viele falsch gefaltete Proteine. Das Gen Atg16l1 wiederum spielt eine entscheidende Rolle bei der Autophagie. Autophagie ist so etwas wie der Müllentsorgungsprozess der Zelle. Bei diesem Prozess werden defekte und überflüssige Zellbestandteile, darunter auch falsch gefaltete Proteine erkannt und beseitigt. Auf diese Weise können durch die Autophagie teilweise die entzündlichen Prozesse ausbalanciert werden, welche durch falsch gefaltete Proteine entstehen.
Eine Genvariante ist eine Abweichung eines Gens. Diese führt dazu, dass die Funktion gestört ist, für die das Gen eigentlich kodiert. In diesem Fall bedeutet das: Der ER-Stress wird schlechter ausgeglichen, die Autophagie ist gestört. Vorangegangene Forschungsarbeiten hatten bereits zeigen können, dass das Zusammenspiel der Genvarianten Xbp1 und Atg16l1 und damit zweier elementarer Prozesse (ER-Stress, Autophagie) die Entstehung von CED begünstigen. „Die Störung des ER-Gleichgewichts gepaart mit der gestörten Autophagie verursacht chronische Darmentzündungen“, erklärte Aden als leitender Autor der Studie. „Wir wollten nun herausfinden, ob diese beiden Mechanismen auch bei der Entstehung von Darmkrebs eine Rolle spielen.“

Prof. Philip Rosenstiel, ein schlanker glatzköpfiger Mann im dunklen Jackett, lächelt in die Kamera.
Prof. Philip Rosenstiel ©Tebke Böschen PMI

„Die Ergebnisse helfen uns dabei, genauer zu verstehen, wie chronische Darmentzündungen mit Darmkrebs verknüpft sind.“

Prof. Philip Rosenstiel

DNA-Reparatur-Modell
Dazu haben die Forschenden anhand von Mäusen ein besonderes DNA-Reparatur-Modell verwendet. In gesunden Zellen existieren Mechanismen, die dafür sorgen, dass Schäden und Fehler in der DNA schnell repariert werden. Geschieht dies nicht, entarten die Zellen und es entsteht Krebs. Im Versuch nutzten die Forschenden genetisch veränderte Tiere, bei denen ein wichtiger Teil dieses Reparaturapparats nicht mehr funktioniert. Sie verglichen diese Tiere mit solchen, bei denen zusätzlich eines der Gene Xbp1 und Atg16l1 verändert worden war, und mit solchen, bei denen beide Gene verändert worden waren. Dazu analysierten sie den Umfang von DNA-Schäden sowie das Vorkommen von Darmtumoren.
Sie konnten so zeigen, dass in den Zellen mit dem defekten Reparaturmechanismus vermehrt Autophagie auftritt – das war zu erwarten, da die Zelle versucht, auf diese Weise Schäden zu beseitigen. Ist die Autophagie jedoch gestört – bei der untersuchten Genvariante Atg16l1 – kommt es vermehrt zu DNA-Schäden, aber noch nicht zur Tumorbildung. Ist jedoch zusätzlich auch Xbp1 verändert, also die ER-Homöostase gestört, bilden sich spontan Darmtumoren.

Baustein für Präzisionsmedizin
„Unsere Beobachtungen deuten darauf hin, dass ein gestörtes Zusammenspiel von Autophagie und ER-Stress nicht nur chronische Entzündungen, sondern auch die Entstehung von Krebs befördert“, sagte Aden laut Pressemitteilung. „Hierdurch hoffen wir, genauer die zellulären Schaltstellen zu identifizieren, welche den Übergang von der Entzündung zur Krebsentstehung erst ermöglichen.“
„Die Ergebnisse helfen uns dabei, genauer zu verstehen, wie chronische Darmentzündungen mit Darmkrebs verknüpft sind. Falls sich die Beobachtungen auch beim Menschen bestätigen lassen, könnten wir in Zukunft anhand von bestimmten Genvarianten erkennen, ob CED-Patienten und -Patientinnen ein erhöhtes Risiko für Darmkrebs haben oder nicht“, wird der Seniorautor Prof. Philip Rosenstiel, Direktor des IKMB und Vorstandsmitglied des Exzellenzclusters PMI, in der Mitteilung zitiert. „Das wäre ein wichtiger Baustein auf dem Weg zu einer echten Präzisionsmedizin, bei der wir mithilfe von molekularen Markern individuell präzise Vorhersagen über Risiken und Krankheitsverlauf machen können.“

Originalpublikation
Kakavand N, Xiang H et al.: Atg16l1 and Xbp1 cooperatively protect from transcription associated mutagenesis and small intestinal carcinogenesis. Oncogene (2025) https://doi.org/10.1038/s41388-025-03591-x

Ähnliche Beiträge
Ein etwa 65-jähriger Mann mit Brille, weißem Vollbart und in weißem Hemd mit blauem Jackett steht hinter einem Pult.
©Jörg Wohlfromm
28.10.2025

Ist der Einsatz von Physician Assistants in Arztpraxen eine Lösung für die steigende Nachfrage nach…

Dame mit roten Haaren und Brille mit schwarzer Bluse und Pepita-Blazer blickt freundlich lächelnd in die Kamera
Kirsten Walsemann © SHKG
07.11.2025

Kirsten Walsemann ist neue Geschäftsführerin der Schleswig-Holsteinischen Krebsgesellschaft. Sie…

Eine Gruppe von 5 Menschen schaut freundlich lächelnd in die Kamera. Sie stehen im Freien, hinter ihnen ist blauer Himmel zu sehen.
PD Dr. Anke Fähnrich (LIED/UzL), Prof. Hauke Busch (LIED/UzL), Dr. Karosham Reddy (FZB), Prof. Markus Weckmann (FZB, UKSH, UzL), Yamil Maluje (LIED/UzL) © W. Nurieva, Uni Lübeck
07.11.2025

Wissenschaftler aus Schleswig-Holstein konnten zelluläre und molekulare Mechanismen entschlüsseln,…

Mehrere Operateure stehen um einen Patienten am OP-Tisch, von dem nur der Bauch zu sehen ist.
© Schön Klinik Neustadt
06.11.2025

Interdisziplinärer Austausch über Darmkrebs: In Neustadt soll das über einen sogenannten…

Patient in blauer Kleidung liegt auf einer Liege und wird von einem Arzt in weißer Kleidung informiert.
© UKSH
05.11.2025

In diesem Monat startet die neue HYPOSTAT-III-Studie an den Standorten Kiel, München, Frankfurt und…

placeholder
29.10.2025

Ein MVZ-Betreiber hat kürzlich gleich drei Standorte in Schleswig-Holstein geschlossen – mit…