
Kombination zweier Genvarianten begünstigt Entzündung und Krebs
Chronische Darmentzündungen (CED), etwa Colitis Ulcerosa oder Morbus Crohn, fördern das Risiko für die Entstehung von Darmkrebs – das ist bekannt. Welche Faktoren einer Entzündung im Detail die Krebsentstehung begünstigen oder antreiben, war dagegen bislang unklar. Ein Forschungsteam des Exzellenzclusters PMI hat kürzlich herausgefunden, dass eine Kombination von zwei Genvarianten, die als Risikogene für CED bekannt sind, auch die Krebsentstehung begünstigt. Diese Beobachtung ermöglicht laut Mitteilung des PMI ein besseres funktionelles Verständnis der zugrunde liegenden Krankheitsmechanismen. Seine Ergebnisse hat das Team um Prof. Konrad Aden vom Institut für Klinische Molekularbiologie (IKMB) der Medizinischen Fakultät der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) und des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein (UKSH), Campus Kiel, nun im Fachjournal Oncogeneveröffentlicht.
Im Fokus stehen zwei Gene
Das Gen Xbp1 kodiert für Proteine, die für das Gleichgewicht des endoplasmatischen Retikulums (ER) wichtig sind. Das ER hat in der Zelle mehrere Aufgaben, es stellt z. B. Proteine her und formt sie in die richtige Struktur. Gerät das ER unter Stress, etwa durch Entzündungsprozesse, entstehen zu viele falsch gefaltete Proteine. Das Gen Atg16l1 wiederum spielt eine entscheidende Rolle bei der Autophagie. Autophagie ist so etwas wie der Müllentsorgungsprozess der Zelle. Bei diesem Prozess werden defekte und überflüssige Zellbestandteile, darunter auch falsch gefaltete Proteine erkannt und beseitigt. Auf diese Weise können durch die Autophagie teilweise die entzündlichen Prozesse ausbalanciert werden, welche durch falsch gefaltete Proteine entstehen.
Eine Genvariante ist eine Abweichung eines Gens. Diese führt dazu, dass die Funktion gestört ist, für die das Gen eigentlich kodiert. In diesem Fall bedeutet das: Der ER-Stress wird schlechter ausgeglichen, die Autophagie ist gestört. Vorangegangene Forschungsarbeiten hatten bereits zeigen können, dass das Zusammenspiel der Genvarianten Xbp1 und Atg16l1 und damit zweier elementarer Prozesse (ER-Stress, Autophagie) die Entstehung von CED begünstigen. „Die Störung des ER-Gleichgewichts gepaart mit der gestörten Autophagie verursacht chronische Darmentzündungen“, erklärte Aden als leitender Autor der Studie. „Wir wollten nun herausfinden, ob diese beiden Mechanismen auch bei der Entstehung von Darmkrebs eine Rolle spielen.“

„Die Ergebnisse helfen uns dabei, genauer zu verstehen, wie chronische Darmentzündungen mit Darmkrebs verknüpft sind.“
DNA-Reparatur-Modell
Dazu haben die Forschenden anhand von Mäusen ein besonderes DNA-Reparatur-Modell verwendet. In gesunden Zellen existieren Mechanismen, die dafür sorgen, dass Schäden und Fehler in der DNA schnell repariert werden. Geschieht dies nicht, entarten die Zellen und es entsteht Krebs. Im Versuch nutzten die Forschenden genetisch veränderte Tiere, bei denen ein wichtiger Teil dieses Reparaturapparats nicht mehr funktioniert. Sie verglichen diese Tiere mit solchen, bei denen zusätzlich eines der Gene Xbp1 und Atg16l1 verändert worden war, und mit solchen, bei denen beide Gene verändert worden waren. Dazu analysierten sie den Umfang von DNA-Schäden sowie das Vorkommen von Darmtumoren.
Sie konnten so zeigen, dass in den Zellen mit dem defekten Reparaturmechanismus vermehrt Autophagie auftritt – das war zu erwarten, da die Zelle versucht, auf diese Weise Schäden zu beseitigen. Ist die Autophagie jedoch gestört – bei der untersuchten Genvariante Atg16l1 – kommt es vermehrt zu DNA-Schäden, aber noch nicht zur Tumorbildung. Ist jedoch zusätzlich auch Xbp1 verändert, also die ER-Homöostase gestört, bilden sich spontan Darmtumoren.
Baustein für Präzisionsmedizin
„Unsere Beobachtungen deuten darauf hin, dass ein gestörtes Zusammenspiel von Autophagie und ER-Stress nicht nur chronische Entzündungen, sondern auch die Entstehung von Krebs befördert“, sagte Aden laut Pressemitteilung. „Hierdurch hoffen wir, genauer die zellulären Schaltstellen zu identifizieren, welche den Übergang von der Entzündung zur Krebsentstehung erst ermöglichen.“
„Die Ergebnisse helfen uns dabei, genauer zu verstehen, wie chronische Darmentzündungen mit Darmkrebs verknüpft sind. Falls sich die Beobachtungen auch beim Menschen bestätigen lassen, könnten wir in Zukunft anhand von bestimmten Genvarianten erkennen, ob CED-Patienten und -Patientinnen ein erhöhtes Risiko für Darmkrebs haben oder nicht“, wird der Seniorautor Prof. Philip Rosenstiel, Direktor des IKMB und Vorstandsmitglied des Exzellenzclusters PMI, in der Mitteilung zitiert. „Das wäre ein wichtiger Baustein auf dem Weg zu einer echten Präzisionsmedizin, bei der wir mithilfe von molekularen Markern individuell präzise Vorhersagen über Risiken und Krankheitsverlauf machen können.“
Originalpublikation
Kakavand N, Xiang H et al.: Atg16l1 and Xbp1 cooperatively protect from transcription associated mutagenesis and small intestinal carcinogenesis. Oncogene (2025) https://doi.org/10.1038/s41388-025-03591-x





