
Aufwachsen zwischen Instagram und Leistungsdruck
Millionen von Kindern und Jugendlichen sind weltweit auf der Flucht vor Krieg und Hunger. Studien belegen, dass mehr als ein Drittel der geflüchteten Kinder und Jugendlichen in Europa an Angststörungen, Depressionen und Posttraumatischen Belastungsstörungen erkrankt sind. Unter dem Titel „Die Angst ist noch lange nicht vorbei“ skizzierte Referentin Dr. Meike Nitschke-Janssen anhand aktueller Studienergebnisse den Status quo und die Folgen der vielfältigen psychischen Leiden für Gesellschaft und Gesundheitssystem hierzulande. „Kernbestandteile der mentalen Entwicklung werden durch die Fluchterfahrungen im Kern erschüttert und in Frage gestellt“, sagte die Fachärztin für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie.
Unterbringung verschärft Situation der Minderjährigen
Ihre Kritik: Statt den traumatisierten Minderjährigen den Zugang zu psychiatrischer Versorgung zu ebnen – und dadurch auch die Belastungen für die Gesellschaft insgesamt zu verringern – diskriminiere die Gesellschaft sie beim Zugang zur medizinischen Versorgung. Die übliche Unterbringung in Gemeinschaftsunterkünften trage darüber hinaus zu weiteren traumatischen Erfahrungen bei.

„Wir haben ein Versorgungsproblem für diese Gruppe.“
„Wir haben ein Versorgungsproblem für diese Gruppe“, konstatierte Nitschke-Janssen. Unter anderem seien die Wege zu den Fachärztinnen und -ärzten zu weit, die kurzen Öffnungszeiten deckten den Bedarf nicht. Gleichzeitig seien viele Mediziner verunsichert, welche Leistungen wie abgerechnet würden, zumal viele Geflüchtete aus mangelnder Systemkenntnis nicht unbedingt die erforderlicher Unterlagen mitbrächten. Dürftige Sprachkenntnisse erschwerten die Kommunikation und nicht zuletzt behinderten Schuld- und Schamgefühle der Eltern oft eine angemessene Versorgung. „Der Zugang zur Behandlung ist ein steiniger Weg“, sagte Nitschke-Janssen.
Dass die deutsche Lebensrealität „zwischen Leistungsdruck und digitaler Dauerpräsenz“ auch ohne Fluchterfahrungen Heranwachsende vor enorme Herausforderungen stellt, zeigte die Kieler Kinder- und Jugendpsychotherapeutin Iris Matuszewski auf. Heute lasse sich alles messen – Schulnoten und Follower z. B. – und Kinder würden zunehmend auf diese messbare Leistung reduziert. Mit Blick auf den gesellschaftlichen Trend zur ständigen Selbstoptimierung, insbesondere auf Social-Media-Kanälen, werde die Leitfrage des Erwachsenwerdens verschoben von „Wer bin ich?“ zu „Wie wirke ich?“ Die Folgen: Schlafmangel, Nervosität, Ängste, Depression.
„Wir sollten Kinder weniger auf Perfektion und mehr auf Selbstakzeptanz vorbereiten.“
„Wir sollten Kinder weniger auf Perfektion und mehr auf Selbstakzeptanz vorbereiten“, empfahl Matuszewski. Gesunde Leistung statt Überforderung, Feedback statt Notendruck, eine bessere Aufklärung über Algorithmen und die Dynamik von Social Media: Das könnte den Jugendlichen helfen. Es gehe nicht darum, die digitalen Medien zu verurteilen, sondern den Kindern zu ermöglichen, online zu sein, ohne sich selbst zu verlieren. Sich selbst zu mögen, ohne perfekt zu sein.
Lob für die GenZ
Ausdrücklich brach sie eine Lanze für die zwischen 1998 und 2011 Geborenen (Generation Z), die oft als „bequem“ kritisiert werden. „Ich ärgere mich über abfällige Bemerkungen über die GenZ“, sagte sie mit Blick auf die Beschränkungen der Covid-Pandemie. „Wir übersehen, welche Herausforderungen die jungen Menschen bewältigen mussten und was sie alles schon für uns getan haben.“






